Der Zorn der Griechen wächst, die Stimmung kippt

Griechische Banken zahlten wieder 120 Euro Vorschuss auf Renten aus – das Gedränge vor den Geldinstituten war enorm, die Empörung der Pensionisten ebenfalls
Leere Supermärkte, protestierende Rentner. Der Vorsprung der Nein-Stimmen vor dem Referendum schrumpft.

Zu Wochenbeginn waren in den Supermärkten die Regale leer, weil die Griechen noch schnell einkauften – aus Sorge vor dem, was nach Ende der Finanzhilfe für das Land passiert. Jetzt sind die ersten Supermärkte menschenleer, weil die Bankomaten zu wenig Geld ausspucken, um einkaufen gehen zu können; oder weil man vorsichtig ist mit dem Baren, das man noch hat.

Der Zorn der Griechen wächst, die Stimmung kippt
A pensioner is helped by a bank manager after collapsing while waiting along with dozens of other pensioners outside a National Bank in Athens, Greece, July 2, 2015. A limited number of banks opened specially to pay out retirement benefits have become a powerful symbol of the misery facing Greece and the problems mounting for Prime Minister Alexis Tsipras. REUTERS/Yannis Behrakis
Dabei gibt es noch alle Produkte, aber wie es in einer Woche aussieht, lasse sich nicht abschätzen, sagen Branchenorganisationen der Importeure. "Zurzeit bekommen wir noch alles von den ausländischen Lieferanten, doch es ist wie am Anfang der Krise vor fünf Jahren – sie wollen zuerst das Geld haben, bevor sie uns etwas schicken", sagt ein Apotheker in Athens Zentrum zum KURIER. Seit Einführung der Kapitalverkehrskontrollen kann man aber nicht mehr einfach Geld überweisen. Ein Bankenrat prüft erst jede Überweisung ins Ausland.

Engpässe erwartet

Griechenland kauft nicht nur Medikamente und Brennstoff, sondern selbst Lebensmittel wie Fleisch und Milch im Ausland. Der Handel rechnet kommende Woche mit ersten Engpässen bei Reis, Bohnen, Käse, Fleisch. Auch die Industrie erwartet Engpässe. Laut Panhellenischer Exporteurvereinigung (PSE) wird die gesamte Einfuhr in den kommenden Wochen um 28 Prozent schrumpfen. Die Exporteure erwarten 80 Millionen Euro Verluste wöchentlich – griechische Lastwagenfahrer sind auf europäischen Autobahnen gestrandet, ohne genug Geld für Maut und Benzin.

Rentner zornig

Zu erschütternden Szenen kam es gestern vor Bankfilialen, die an Rentner 120 Euro pro Person und in bar auszahlen, sofern sie ein Konto haben. "Es ist unmöglich – die Regierung zwingt alte Menschen, in der Hitze auf der Straße stundenlang zu warten", schimpft Panagiotis Vavougias, Präsident des Pensionistenverbands der öffentlichen Angestellten. Am Mittwoch hatten die Pensionisten vor dem Finanzministerium in Athen deshalb protestiert. Sie verlangen auch die volle Auszahlung der Renten. "Wir wollten persönlich mit Minister Yanis Varoufakis sprechen, aber er ist einfach weggegangen", sagte Vavougias zum KURIER. Freitagmittag soll es endlich einen Termin beim Finanzminister geben. Die Pensionistenvertreter pochen darauf zu erfahren, wann die insgesamt 2,35 Millionen Rentner ihr restliches Geld bekommen.

Mittlerweile wirbt die Regierung für Nein-Stimmen beim Referendum über das Hilfspaket samt Reformen am Sonntag. Plakate hängen überall. Ein "Nein" werde ein besseres Abkommen für Griechenland mit den internationalen Gläubigern bringen, hat Premier Alexis Tsipras seinen Landsleuten versprochen. Das scheinen ihm aber immer weniger Wähler abzukaufen. Laut jüngster Umfrage des Meinungsforschers GPO, die am Donnerstag in fast allen griechischen Medien veröffentlicht wurde, werden 47 Prozent der Griechen am Sonntag mit "Ja" abstimmen, 43 Prozent mit "Nein". GPO verwies später zwar darauf, dass die Umfrage nicht repräsentativ gewesen sei. Der Vorsprung der Nein-Stimmen scheint aber tatsächlich von Tag zu Tag knapper zu werden.

Varoufakis will bei "Ja" zurücktreten. Mehr dazu hier.

Verfassungsexperten haben das schnell einberufene Referendum kommenden Sonntag bereits mehrfach als nicht rechtmäßig kritisiert. Nun haben aber zwei Bürger – ein Jurist und ein Techniker – die Volksabstimmung gleich vor dem Staatsrat, dem höchsten Gericht Griechenlands, wegen Verfassungswidrigkeit angefochten. Der soll seine Entscheidung am Freitag fällen.

"Die Chance, dass der Staatsrat das Referendum annulliert, ist sehr gering", sagte zum KURIER Haris Theoharis, ein Abgeordneter aus der oppositionellen liberalen Bürgerbewegung To Potami. Verfassungsrechtsexperten halten das ebenfalls für unwahrscheinlich.

Am Sonntag sollen die Griechen entscheiden, ob sie den Reformvorschlag der Gläubiger vom 25. Juni , der weitere Sparmaßnahmen gegen Hilfsgelder für das krisengeplagte Land vorsieht, akzeptieren oder ablehnen. Inzwischen aber haben die Gläubiger ihren Vorschlag mehrmals geändert. Laut Brüssel und Washington gilt das alles ohnehin nicht mehr, da das internationale Hilfsprogramm für Griechenland am 30. Juni abgelaufen ist.

Die zwei griechischen Kläger haben den Regierungsvorschlag und den Erlass des Präsidenten Prokopis Pavlopoulos über die Volksabstimmung angefochten. Diese sollen gegen Artikel 44 der Verfassung und das Gesetz, das die Abhaltung von Referenden regelt, verstoßen. Konkret geht es darum, dass laut Grundgesetz die Bürger nicht über Steuerfragen entscheiden dürfen.

Weiter finden sie die Fragestellung zu kompliziert, und die Zeit bis zur Abstimmung zu kurz, damit sich die Bürger ausreichend über die Materie informieren könnten. Das Staatsoberhaupt beschuldigen sie des Machtmissbrauchs, weil der Präsident ein unrechtmäßiges Dokument erlassen habe.

Kritik am Referendum

Kritik an der Volksabstimmung kommt auch aus dem Ausland. Nach internationalen Regeln sollten die Bürger mindestens zwei Wochen Zeit haben, um sich ausreichend über die Frage in der Abstimmung zu unterrichten und sich zu entscheiden, sagte Europarats-Generalsekretär Thorbjorn Jagland. Die Frage sollte klar formuliert sein, und internationale Beobachter sollten zur Abstimmung eingeladen werden.

Trotz allem ist mit einer Absage des Referendums nicht zu rechnen. Auf Anfrage des KURIER erwarten zwei griechische Experten für Verfassungsrecht, der Staatsrat werde die Anklage gegen die Volksabstimmung für unzulässig zu erklären, "weil es eine politische Frage ist".

Mittlerweile hat auch Finanzminister Varoufakis in seinem jüngsten Blog für ein "Nein" geworben. Sollte eine Mehrheit am Sonntag Oxi – also Nein – zum Reformvorschlag sagen, dann will man, gestärkt durch das Ergebnis, in neue Verhandlungen mit Brüssel einsteigen.

Im Fall, dass das Ja-Lager gewinnt, will Varoufakis zurücktreten. So kündigte er es am Donnerstag vor laufender Kamera an. Premier Alexis Tsipras hat auch angedeutet, dass er in diesem Fall seinen Posten zurückgibt.

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