"Westen tauscht Tibet gegen Profit mit China"

Golog Jigme: "Die Lage in Tibet wird immer dringlicher"
Golog Jigme hat für den Freiheitskampf seines Volkes sein Leben riskiert – und fast verloren. In Wien sprach er mit dem KURIER darüber und über seine Heimat.

Mit einem strahlenden Lächeln, das sein rundes, freundliches Gesicht noch runder macht, kommt Golog Jigme in seiner roten buddhistischen Mönchsrobe zum Interview in einem Wiener Hotel. Unwillkürlich schießt einem der Gedanke durch den Kopf: Wie kann ein Mensch, der von chinesischen Folterknechten fast zu Tode gequält wurde, noch so offen und fröhlich sein?

Direkt darauf angesprochen lacht der 43-Jährige und sagt dann ruhig: "Ich musste mit vielen Schwierigkeiten klarkommen, aber ich war von klein auf darauf vorbereitet. Meine Eltern waren sehr politisch denkende Leute. Ich wusste sehr früh, dass Gefängnis, Folter und auch der Tod der Preis dafür sind, wenn du in der tibetischen Widerstandsbewegung für die Freiheit meines Volkes kämpfst."

Volkes Stimme

Das Risiko gingen er und Dhondup Wangchen ein, als sie vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 den Film "Leaving Fear Behind" (auf YouTube zu finden) drehten. Darin sprachen einfache Tibeter über ihre Angst um ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Lebensweise, ihr Weideland; ihre Angst, als Minderheit von der chinesische Mehrheit erdrückt zu werden; und ihre Trauer, dass sie die Rückkehr des Dalai Lama nicht mehr erleben werden.

Am 10. März 2008 konnte der Film aus dem Land geschmuggelt werden – dem Tag, an dem der dritte große Volksaufstand der Tibeter (nach 1959 und 1989) losbrach. Das chinesische Regime schlug den Aufstand nieder, Hunderte Tibeter wurden getötet, verschwanden für immer.

Am 23. März 2008 wurde Golog Jigme von Polizei und Militärs niedergeprügelt und verhaftet. Es war nur der Auftakt der Tortur. Schläge, Elektroschocks, Verbrennungen. Als er in einer besonders schmerzhaften Stellung an einen "Eisernen Stuhl" gekettet war, wäre er fast gestorben, hätte ein älterer Polizist die Folterknechte nicht gewarnt. "Sie wollten nur eines wissen: Die Namen jener, die im Film als Zeugen der Unterdrückung gesprochen haben. Aber ich habe niemanden verraten, keinen Einzigen."

Ihm gelang die Flucht ins Exil. "Ich lebe in Freiheit, aber es verstört mich, dass Freunde in der Heimat verhaftet werden und die Unterstützung der Welt kleiner und kleiner wird", sagt er und bittet um Unterstützung für den im Vorjahr verhafteten Blogger Shokjang (www.freeshokjang.org). "Niemand weiß, wo er ist, wie es ihm geht." Auch Dhondup Wangchen bezahlte sein Filmengagement mit Jahren im Gefängnis. "Es geht ihm nicht gut", sagt Jigme knapp.

Keine Chance auf Jobs

Die Tibeter hätten ein Leben in Würde verdient. Stattdessen lernten die Kinder in der Schule nur noch marginal Tibetisch. Nomaden werden in Städte zwangsübersiedelt, ihres Lebens, ihres Unterhalts, ihrer Würde beraubt. "Sie haben keine Chance auf Jobs", viele Burschen würden spielsüchtig, Mädchen verkauften ihre Körper.

"Die Situation in Tibet wird immer dringlicher. Die politischen Repressalien immer heftiger. Und gleichzeitig sehe ich, wie der Westen Handel betreibt mit unserer Menschenwürde – für kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg."

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