Frankreichs Juden zieht es nach Israel

Vater und Sohn – Marco Koskas folgte seinem Sohn nach Israel
5000 pro Jahr: Eine Bestandsaufnahme der Einwanderer.

Es war wie eine geheimnisvolle Erfahrung", erinnert sich Alain Zeitoun an seine erste Reise nach Israel als 15-Jähriger, "ich kam hier an und wusste, das ist mein Land. Hier möchte ich leben." Er wanderte dann aber erst mit 37 Jahren als Pharmazeut und Mediziner nach Israel aus. "Macht seinen Aufstieg", heißt das auf Hebräisch. Ein Wagnis, das in den letzten Jahren immer mehr Juden aus Frankreich antreten: 5000 pro Jahr und das schon seit über einem Jahrzehnt, in dem der Antisemitismus in Frankreich immer spürbarer wurde. "Die Vorfälle der letzten Wochen werden die Zahl weitersteigen lassen", glaubt Zeitoun, "auch wenn das noch nicht statistisch zu fassen ist."

Deshalb gründete er mit seinem Freund Roni Sarfati (42) den Verband für Absolventen französischer Hochschulen in Israel. Neuankömmlinge sollen eine Anlaufstelle haben. "Erste Hilfe", wo Fragen gestellt werden können; eine Grundlage zu einer Vernetzung. "Derzeit besteht unsere Aufgabe vor allem im Abbau bürokratischer Hürden, die in Israel oft unnötig hoch sind."

Israel liebt seine Einwanderung, sagt eine israelische Weisheit, die so alt ist, wie der Staat jung. Seine Einwanderer liebt es dagegen weniger. Die Juden aus Frankreich kommen nicht in einer Woge wie die aus der Ex-UdSSR in den 1990er-Jahren. Sie kommen "individuell, aus eigenen Kräften. Sie erwarten keine staatliche Hilfe und sorgen für sich selbst."

Im Gegensatz zu "den Russen", denken die Juden aus Frankreich nicht daran, ihre eigene Partei zu gründen. "Leider ein Riesenfehler", gibt Sarfati zu, "so können wir nur schwer Druck auf die Politiker machen." Absolventen französischer Hochschulen müssen etwa Prüfungen ablegen, bevor ihre Titel anerkannt werden. "Lächerlich", regt Zeytoun sich auf, "einmal stand ein Lehrer vom Polytechnique vor seinem ehemaligen Studenten aus Israel, der ihn prüfen sollte."

Dem Sohn gefolgt

Marco Koskas (63) kam erst vor einem Jahr nach Israel. Er folgte seinem Sohn, den es nach seiner Matura schon nach Israel zog. "Damals war es noch der normale Antisemitismus, nicht der blutige von heute, der meinen Sohn dazu brachte." Koskas ist Schriftsteller und Privatdetektiv, eine ungewohnte Kombination, mit der er aber Fuß fassen konnte. Über seine Einwanderung schrieb er ein Buch und als Detektiv fand er gerade mit seinen Sprachkenntnissen Klienten.Es sind häufig jüngere Juden, die nach Israel kommen. Und die dann ihre älteren Verwandten nachziehen. "Eine meiner Studien zeigte, dass der Antisemitismus sich vor allem gegen jüngere Juden richtet", so Erik Cohen, ein Experte für die Geschichte frankophoner Juden von der Bar-Ilan-Universität.

Patricia (57) und Maurice (67) Hassoun folgten ebenfalls ihren Kindern. Auch ihnen fehlte eine Anlaufstelle. "Patricia setzte sich hin und baute das Ashdod-Café", erzählt Maurice – eine Webseite für französische Juden in Israel und solche, die es werden wollen.

Als größte Gemeinde des Kontinents und in Nachbarschaft zu einer starken arabischen Minderheit spürten Frankreichs Juden Antisemitismus stärker als anderswo.

Michael Jedovitzki, Beauftragter der Jewish Agency für deutschsprachige Länder hat noch keine Statistiken, die die jüngste Entwicklung erfassen. "Eines aber ist jetzt schon absehbar: Das Interesse junger Juden an Israel und jüdischer Identität ist auch in deutschsprachigen Gemeinden stark gestiegen. Allein die Nachfrage an Sommerkursen in Israel stieg in den letzten Monaten um 50%." Die Rolle der französischen Juden lässt sich dabei mit einem Wort beschreiben: Avantgarde.

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