Einigung nach Putins Muskelspiel

Kreml-Chef gesteht Involvierung russischer Militärs bei der Einverleibung der Krim ein und warnt Kiew. Aber Moskau stimmt Deeskalationsplan zu.

In Genf wurde geredet, in Mariupol in der Ostukraine geschossen, und über den Äther sonnte sich Russlands Staatschef Wladimir Putin in eigenem Glanz und Gloria. Drei Stunden lang beantwortete er am Donnerstag sorgsam ausgewählte Fragen russischer Bürger – und zu diesen zählen jetzt aus Sicht Moskaus auch die Bewohner der völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Krim.

Es war eine TV-Show, die am Donnerstag allen diplomatischen Bemühungen in der Krise um die Ukraine die Show stahl. Schaltungen zwischen Ostsee und Pazifik sowie nach Sewastopol inklusive – und als Ass im Ärmel: Edward Snowden, der Putin per Videobotschaft fragte, ob denn die russischen Geheimdienste wie die amerikanische NSA agierten. "Gibt es in Russland auch eine solche Massenausspähung?" Die wenig überraschende Antwort: Natürlich erlaube man sich derartiges nicht. In Russland stünden Geheimdienste "unter strenger Kontrolle der Regierung und der Gesellschaft". Detail am Rande: Putin war ja selbst Geheimdienstoffizier.

Einigung nach Putins Muskelspiel
Den Rest der Sendung beherrschte ein Thema: die Ukraine. Und was das angeht, wartete Putin mit einigen Überraschungen auf. So gab er etwa zu, dass russische Militärs auf der Krim aktiv waren: "Hinter den Selbstverteidigungskräften standen natürlich unsere Militärs." Zur aktuellen Lage und den Vorwürfen, russische Spezialkommandos seien in der Ostukraine aktiv, sagte er: "Es gibt im Osten der Ukraine überhaupt keine russischen Einheiten. Es gibt keine Geheimdienste und keine Instrukteure." Und Putin, angesprochen auf die ukrainische Anti-Terror-Aktion gegen Separatisten: "Sind die dort jetzt völlig bescheuert?" Die Aktion sei ein "schweres Verbrechen der heutigen Machthaber in Kiew". Zugleich erinnerte er an die Erlaubnis des russischen Föderationsrates, militärisch in der Ukraine aktiv werden zu können – ein Recht, von dem er hoffe, nicht Gebrauch machen zu müssen. Nur Verhandlungen, eine neue Verfassung für die Ukraine und Wahlen könnten die Krise lösen. Die Präsidentenwahlen am 25. Mai werde Russland nicht anerkennen, sollte sich die Lage nicht beruhigen.

Es ist vor allem die russische Forderung nach einer Verfassungsreform und einer Föderalisierung, die in Kiew die Regierung verstören – sowohl der Inhalt als auch der Umstand, dass Moskau eine solche Verfassung diktieren möchte. Entsprechend deutlich war die Entscheidung des Parlaments in Kiew am Mittwoch, dass bei den Gesprächen mit Russland am Donnerstag in Genf keinesfalls interne Angelegenheiten verhandelt werden sollten. Sowohl russischen als auch von Separatisten geäußerten Forderung nach Föderalisierung wird in Kiew kein Glauben geschenkt.

Plan zur Deeskalation

Nach gut siebenstündigen Verhandlungen gab es Donnerstag Abend in Genf dann eine Überraschung: Moskau stimmte der Forderung einer Entwaffnung separatistischer Kräfte zu. Zudem müssten sie alle besetzten Gebäude verlassen, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow vor Journalisten in Genf. Alle besetzten Gebäude müssten verlassen und den Eigentümern zurückgegeben werden. Zugleich solle eine Amnestie gelten.

"Gute Arbeit" in Genf

Diese wurde von der Regierung in Kiew zugesagt, außer für jene, die für Kapitalverbrechen verantwortlich gemacht werden können, bestätigte US-Außenminister John Kerry. Er sprach von "guter Arbeit", die an diesem Tag geleistet worden sei. Nun gehe es aber darum, dass den Worten Taten folgten. Umgehend soll eine Spezialmission der OSZE in die betroffene Region entsandt werden und die Umsetzung des Plans begleiten und überprüfen, betonte Kerry. Er habe Lawrow auch klar gemacht, dass Russland verantwortlich gemacht werde, sollte eine friedliche Lösung der Krise scheitern.

Laut dem ukrainischen Geheimdienst SBU sind zahlreiche Saboteure in Haft, die mit russischen Diensten in Verbindung stehen sollen. Ihnen werden Gebäudebesetzungen und Angriffe vorgeworfen. Solche, wie jener in der Nacht auf Donnerstag in Mariupol – der bisher blutigste Vorfall seit Beginn der Krise in der Ostukraine. Als Demonstranten eine Basis der Nationalgarde stürmen wollten, kam es zu einer Schießerei. Drei Menschen starben.

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine lässt auch aus einem anderen Grund in den EU-Hauptstädten die Alarmglocken schrillen. Denn Europa ist massiv von Gas aus Russland abhängig.

Den Grünen liegt ein brisantes Papier des EU-Parlaments aus der "Generaldirektion für externe Politikbereiche", dem wichtigsten Think Tank des Parlaments, vor. Thema: erhöhte Dringlichkeit der Energieversorgungssicherheit im Rahmen der Krim-Krise.

Wie groß das Problem ist, wird schnell ersichtlich: "In dem unwahrscheinlichen Katastrophenszenario von steigenden geopolitischen Spannungen und gegenseitigen Vergeltungsmaßnahmen, bei dem alle Gaslieferungen aus Russland auf dem Spiel stehen, müsste theoretisch die beeindruckende Menge von 130 Milliarden Kubikmeter Gas kompensiert werden", steht am Anfang des 36-seitigen Dokuments. Nur zum Vergleich: Österreich hat eine Gas-Speicherkapazität von gerade einmal 7,5 Milliarden m³ (die Speicher sind derzeit halb voll).

Die Experten rechnen dann zwei Szenarien im Falle von Lieferstopps von Erdgas aus Russland vor:

Kurzfristig müsste Gas vor allem in Form des teuren Flüssiggases (LNG) aus Nordafrika und Asien und aus der einzig sicheren Quelle Norwegen importiert werden. Weiters müsste die Produktion des größten EU-Gasfelds in der EU im niederländischen Groningen deutlich gesteigert werden, auch wenn, wie der Bericht zugibt, Anrainerproteste zu befürchten sind, da die Gasförderung dort "zunehmend kleine Erdbeben" auslöse.

Weiters müsse ein Wechsel von Gas zum schädlicheren Öl erfolgen. Der Rest, immerhin noch ein Viertel der benötigen Energiemenge, soll einerseits kompensiert werden, indem EU-Haushalte gezwungen ("forced") werden, die Heizungswärme zu reduzieren. Andererseits sollen energieintensive Industrien (Stahl, Chemie) die Produktion vorerst einstellen. Kosten der Maßnahmen: bis zu 20 Milliarden Euro.

Atomkraft

Langfristig empfiehlt die Studie einen breiten Ausbau von Nuklearkraftwerken, den Abbau von Schiefergas, mehr Erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz.

Im Juni 2014 soll ein Vorschlag der EU-Kommission zum künftigen Energiemix vorliegen. Für die Grünen ist das Dokument ein erster Hinweis, was sich Kommission als auch die großen Parteienfamilien in Europa (Sozialdemokraten, Konservative und Liberale) überlegen. Grünen-Chefin Eva Glawischnig: "Setzt sich diese Linie durch, bedeutet das nichts anderes als das Ende der Klimaschutzpolitik in Europa und eine Vervielfachung des Atomrisikos durch den Neubau von Atomkraftwerken."

Riga sieht eine neue Gefahr von Seiten der Russischen Föderation. Der Privatkanal TV3 hat russische Agenten im Osten Lettlands ausgemacht. Sie sollen die Stimmung unter der russischen Minderheit bezüglich der russischen Ukraine-Politik erforscht haben.

"Besorgniserregend" nannte das Valdis Zatlers, Ex-Präsident und Vorsitzender des parlamentarischen Sicherheitsausschusses. Denn vor der Krim-Intervention habe Wladimir Putin auch auf der ukrainischen Halbinsel geheime soziologische Untersuchungen machen lassen.

Die Krim-Annexion, so Putin, sei vom Willen der Krim-Bewohner geleitet worden: "Ich traf die Entscheidung, als die Stimmung der Bevölkerung klar wurde, wir waren auf eine solche Entwicklung nicht vorbereitet", erklärte der russische Präsident vergangene Woche.

Zatlers glaubt darum, dass Russland mit solchen Untersuchungen auch beim NATO-Mitglied Lettland teste, "wie weit es gehen könne".

Auch die lettische Regierung scheint die russischen Umfragen ernst zu nehmen. Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma kündigte breit angelegte Erhebungen an. Die Letten sollen über internationale Ereignisse befragt werden. Näheres wollte sie noch nicht preisgeben.

Nach der Annexion der Krim hat Lettland bereits eine Umfrage gemacht – 30 Prozent der Bevölkerung begrüßten die Annexion. Das entspricht etwa dem Anteil der russischen Bevölkerung. Mit 27 Prozent hat Lettland die größte russische Minderheit in Europa.

Russische Minderheit

Russland hält dem Land immer wieder eine Diskriminierung der Minderheiten vor. Wer volle Bürgerrechte erhalten will, muss einen lettischen Sprachtest bestehen, was vor allem viele Ältere nicht schaffen.

Aber auch Oppositionspolitiker Zatlers wirft der Regierung Verfehlungen vor – russischsprachige Letten würden vor allem weißrussisches und russisches Fernsehen empfangen und von lettischen Inhalten nicht erreicht werden.

Anfang April blockierte die lettische Regierung schließlich Programme des russischen Auslandssenders RTR Planeta wegen zu parteiischer Berichterstattung über die Krim-Krise und "Aufstachelung zur Gewalt". Als Alternative soll ein gesamtbaltischer russischsprachiger Kanal geschaffen werden, ohne Einfluss aus Moskau. Baltische und finnische Journalisten haben einen entsprechenden Vorschlag kürzlich an die EU-Kommission geschickt.

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