Die Uhr tickt: Angela Merkels größter Gegner ist die Zeit
Beunruhigt? Ach wo. Selbstzweifel? Keine Spur. Amtsmüde? Na das schon gar nicht.
Angela Merkel gab sich bei ihrem Auftritt bei Anne Will so selbstsicher, dass man meinen konnte, die aktuelle Krise sei gar nicht die größte Herausforderung ihrer Kanzlerschaft. Ruhig sprach sie davon, dass die Flüchtlingskrise eine "ganz wichtige Phase unserer Geschichte" sei. Aber auch für ihre eigene? Nein, wohl eher nicht.Abseits der TV-Kameras ist die Lage aber anders. In den Parteigremien ist man nervös; bei den drei Landtagswahlen, die eine Woche nach dem EU-Gipfel anstehen, droht die CDU nicht gerade gut abzuschneiden. Ein guter Teil der Abgeordneten steht vor allem deshalb nicht mehr hinter dem, wofür Merkel kämpft.
Das weiß man auch im Kanzleramt. Der Auftritt bei Anne Will war darum auch eine Reaktion darauf: Dass Merkel sich binnen eines halben Jahres zwei Mal interviewen lässt, am Sonntag noch dazu erstmals live, gab es in Merkels Kanzlerschaft noch nie.
CSU-Lob für Österreich
Die Kritiker gaben sich daneben beinahe zurückhaltend. CSU-Chef Horst Seehofer sagte lediglich ein wenig beleidigt, dass eine Kehrtwende ja nicht zu erwarten gewesen sei; nur sein Finanzminister distanzierte sich etwas offener von der Kanzlerin. Es gebe in der Beurteilung der Lage einen "gewissen Dissens", sagte Markus Söder; zudem sei er "sehr skeptisch", dass es zu einer europäischen Lösung kommen werde. Er versuchte auch, die Risse mit Österreich zu kitten: Bisher hätten ja nur "einzelne nationale Maßnahmen" etwas bewirkt, deswegen sollte man die Österreicher unterstützen und sie nicht angreifen. "Denn sie und viele andere Staaten sorgen im Moment eigentlich dafür, dass es eine europäische Lösung gibt", ließ der Bayer Merkel wissen.
Doch so kritisch die Stimmen auch sind – offen infrage stellt Merkel derzeit niemand. Das heißt aber nicht, dass das noch lange so bleiben muss. Hinter vorgehaltener Hand ist immer öfter der Vergleich mit Gerhard Schröder zu hören, der vor seiner Abwahl mit der Agenda 2010 eine ähnliche Situation erleben musste. Auch er kämpfte für sein Projekt gegen die eigene Partei; Unterstützung erhielt er dafür hauptsächlich von der oppositionellen CDU. Wendepunkt seines politischen Niedergangs waren die desaströsen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen – und auch hier sieht so mancher eine Parallele: Verliert die CDU den Urnengang in zwei Wochen, könnte dies der Kanzlerin ordentlich zusetzen. Merkel scheint das nicht zu beunruhigen. Woran das liegt? Möglicherweise an etwas, das sie maßgeblich von Schröder unterscheidet: Ihre Beliebtheitswerte steigen seit kurzem wieder.
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