Rousseff über den "größten Albtraum"

Brasiliens Staatschefin bangt nach dem Fußball-Debakel und Protesten um ihre Wiederwahl im Herbst.

Wenn wir gewonnen hätten", sagt ein Brasilianer, wäre all das Geld, das da hineingesteckt wurde, vergessen gewesen." Doch gewonnen haben bekanntlich die Deutschen, mit der von vielen als historisch betrachteten Demontage des Gastgeberlandes. Dass das Spiel überhaupt stattfand, ist vor allem ihr zu verdanken - und auch anzukreiden: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die die monatelangen, teils blutigen Proteste im Vorfeld der Fußball-WM überging und das Sport-Spektakel durchzog.

Nun gab sie CNN ein Interview, in dem sie ihre Sicht auf die "Schande von Brasilien" zeigt: "Meine Albträume wären nie soweit gegangen", sagte Rousseff gegenüber Christiane Amanpour. "Niemals. Als Unterstützerin tut es mir sehr leid, weil ich die Sorgen aller Fans teile. Aber ich weiß auch, dass wir ein Land mit spezieller Eigenschaft sind. Wir stellen uns einer Herausforderung, wenn wir vor Widrigkeiten stehen. Wir können das überwinden".

Das Video wurde uns von CNN International zur Verfügung gestellt.

Neue Proteste

Ob auch Rousseffs Karriere diese Widrigkeiten überleben wird, zeigt sich im Oktober, wenn die Wahlen anstehen. Im Vorfeld der Weltmeisterschaft hatte sie stets den Fokus auf die Bedeutung für Brasilien, ein solches Event auszurichten, betont. Nun, nach der Niederlage, stehen wohl andere Dinge im Vordergrund. Auch während des Weltcups brandeten immer wieder kleinere Proteste hoch. Große Teile der Bevölkerung kritisieren die Milliardenausgaben für den Fußball, während Brasilien unter Wohnungsnot leidet und kein Geld für Bildung und Gesundheit hat.

Bereits vor einer Woche haben etwa in Sao Paulo Tausende obdachlose Familien aus Protest gegen die Wohnungsnot ein unbebautes Gelände besetzt. Der einzige Fernseher der Hütten-Siedlung bleibt zu den WM-Partien konsequent aus. Protesten auf der Straßen begegnet die Polizei mit Tränengas und Gummi-Geschossen. Auch am Final-Sonntag könnten die Menschen ihrem Unmut Luft machen.

Doch Rousseff bleibt gegenüber CNN bei ihrem Mantra: "Man muss die Tatsache bedenken, dass Brasilien eine Weltmeisterschaft organisierte und über die Bühne brachte, die meiner Meinung nach eine der besten ist. Und das ging einher mit der Fähigkeit der Brasilianer, Gastfreundschaft anzubieten und Fans aus der ganzen Welt zu begrüßen."

Tränen und Wut nach Brasiliens WM-Aus:

Rousseff über den "größten Albtraum"

Fans of Brazil react while watching a broadcast of
Rousseff über den "größten Albtraum"

A fan of Brazil reacts while watching a broadcast
Rousseff über den "größten Albtraum"

A Brazil soccer fan walks in the rain after watchi
Rousseff über den "größten Albtraum"

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Rousseff über den "größten Albtraum"

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Rousseff über den "größten Albtraum"

A Brazilian boy fan cries next to his father as th
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BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Rousseff über den "größten Albtraum"

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
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BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Rousseff über den "größten Albtraum"

Brazil fans react while holding a mask of Neymar a
Rousseff über den "größten Albtraum"

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Rousseff über den "größten Albtraum"

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Rousseff über den "größten Albtraum"

People celebrate after Germany defeated Brazil dur

Als der frühere brasilianische Präsident Lula (2002–2010) vor sieben Jahren die Fußball-WM an den Zuckerhut holte, hatte er einen Masterplan: Die damals bereits auserkorene Nachfolgerin Dilma Rousseff sollte auf der Welle des Erfolges ein zweites Mal ins höchste Amt des Staates getragen werden. Nun, seit dem 1:7 wissen alle: Das Semifinal-Match gegen Deutschland geriet zu einem Tsunami, in dem die Seleção unterging. In abgeschwächter Form könnte das bei der Wahl Anfang Oktober auch der 66-Jährigen widerfahren.

Denn Fußball ist in Brasilien nicht die wichtigste Nebensache der Welt, sondern nimmt einen zentralen Stellenwert ein. Zudem ist er auch so etwas wie sozialer Kitt oder Tünche, die den oft grau-tristen Alltag aufhellt – wie der Karneval, nur dass der auf fünf Tage pro Jahr beschränkt ist. In dieses Bild passt, dass die amtierende Staatschefin in der jüngsten Umfrage, die noch vor der "nationalen Tragödie" (Globo-TV über die historische Niederlage) durchgeführt worden war, in der Wählergunst um vier Prozentpunkte zulegen konnte. Jetzt dürfte das Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Schon nach dem 5:0 gab es im Stadion von Belo Horizonte lautstarke Unmutsbekundungen gegen Dilma Rousseff, die sich am Sonntag während des Finalspiels wiederholen dürften.

Dass sich die brasilianischen Kicker bis auf die Knochen blamierten, dafür kann die Präsidentin nichts. Sehr wohl aber dafür, dass sie der Kritik Hunderttausender Demonstranten, die Milliarden wären besser in Bildung, Gesundheit und Transport investiert gewesen, nicht wirklich Argumente entgegenzusetzen hatte. Mantra-artig strich sie bloß die Wichtigkeit der WM für die Entwicklung des Landes heraus – und setzte insgeheim auf den Titel. Der ist nun verloren, und dass Dilma Rousseff ein ähnliches Schicksal bevorsteht, nicht mehr ausgeschlossen.

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