Die Ex-Guerillera will weiterkämpfen

Dilma Rousseff darf ihr Amt zunächst 180 Tage lang nicht ausüben
Präsidentin will Vorwürfe entkräften. Ihr Vize Temer übernimmt

Noch vor Sonnenaufgang und lange vor dem Ende der mehr als 20-stündigen Marathonsitzung des Senats war das Schicksal der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, 68, am Donnerstag besiegelt. Eine Mehrheit, letztlich ging sich sogar eine Zweidrittel-Mehrheit aus, stimmte wie zuvor das Abgeordnetenhaus für die Amtsenthebung der Staatschefin. Ihr, die jetzt für 180 Tage suspendiert ist, werden Budgettricks im Wahljahr 2014 vorgeworfen. In der präsidialen Residenz, dem Palast der Morgenröte, darf sie vorerst bleiben, ihren Amtssitz muss sie räumen.

Dort zieht jetzt ihr bisheriger Stellvertreter Michel Temer ein, der nun auch die olympischen Spiele am 5. August eröffnen wird. Und der 75-jährige, dessen Mitte-rechts-Partei nach 13 Jahren den Pakt mit Dilma Rousseffs linker Arbeiterpartei (PT) aufgekündigt hatte, war sich seiner Sache offenbar immer schon sicher. Bereits Mitte April wurde seine "Antrittsrede" als neuer Staatschef via WhatsApp publik. Darin unterstrich er unter anderem, dass die bisher siebentgrößte Volkswirtschaft der Welt eine neue "Regierung braucht, um das Land zu retten".

Das nun suspendierte Staatsoberhaupt, während der Militärdiktatur als Guerilla tätig, hat aber bereits angekündigt, den Kampf bis zuletzt führen zu wollen.

"Putsch"

Sie spricht von "Putsch" und will die Vorwürfe entkräften. Am Ende des Prozesses steht dann ein neuerliches Votum des Senats. Wird die Zweidrittel-Mehrheit verfehlt, kehrt sie ins Amt zurück, andernfalls ist Temer Präsident bis zur Wahl 2018.

Vorerst jedenfalls ist die Ära der Linken, die 2003 mit Luiz Inacio Lula da Silva begann, beendet. Als Präsident führte er in den folgenden Boomjahren das Land in lichte Höhen, ehe zuletzt unter seiner Nachfolgerin die harte Landung kam: Die schwerste Rezession seit den 1930er-Jahren machte schon elf Millionen Menschen arbeitslos. Im heurigen Budget klafft ein Loch von umgerechnet 30 Milliarden Euro.

Temer will jetzt gegensteuern – mit Privatisierungen und einem harten Sparkurs, der auch die Sozialprogramme treffen könnte, mit denen zuvor 30 bis 40 Millionen Brasilianer der extremen Armut entkommen konnten.

Banker als Sanierer

Eine zentrale Rolle nimmt künftig der frühere Chef der Zentralbank ein: Henrique Mereilles soll als Wirtschaftsminister das fünftgrößte Land der Welt ökonomisch wieder aufrichten. Sorgen bei Umweltschützern löst der als neuer Landwirtschaftsminister gehandelte bisherige Senator Blairo Maggio aus. Er ist einer der global führenden Soja-Produzenten und Vertreter der Agrar-Lobby. Öko-Aktivisten befürchten eine beschleunigte Abholzung des Regenwaldes zugunsten von Ackerflächen.

Leicht wird es der Interimspräsident nicht haben. Denn auch er gehört zum alten Polit-Establishment, von dem die meisten der mehr als 200 Millionen Brasilianer die Nase voll haben. Wie auch von der Korruption, die vor allem in den vergangenen Jahren, als die PMDP in der Regierung saß, gigantische Ausmaße annahm – so laufen derzeit Verfahren gegen 60 Prozent der Senatoren. Wohl auch aus diesem Grund haben in einer Umfrage 58 Prozent der Bürger dafür plädiert, auch Michel Temer des Amtes zu entheben. Und bei der Präsidenten-Direktwahl käme er derzeit auf ein bis zwei Prozent der Stimmen.

Die Rechte Brasiliens ist vorerst am Ziel, die linke Präsidentin wegen eines Amtsenthebungsverfahrens suspendiert. Doch ein Lehrbeispiel für Demokratie war das nicht. In kaum einer Wortmeldung – weder im Abgeordnetenhaus noch im Senat – ging es um den eigentlichen Vorwurf, den man Dilma Rousseff macht: Eine Beschönigung der Budgetzahlen, um 2014 wiedergewählt zu werden. Stattdessen wurde die Korruption gegeißelt, in die Politiker aller Couleurs verwickelt sind, und die miese Wirtschaftslage. All das völlig zu Recht. Das jetzt ausgeschaltete Staatsoberhaupt hat dafür die Verantwortung zu übernehmen. Eine Abstrafung bei der nächsten Wahl wäre ihr gewiss gewesen. Doch das ist der springende Punkt: Bei der nächsten Wahl und nicht durch ein derart fadenscheiniges, von Opportunisten getragenes Verfahren mit wackeliger Beweislage.

Die Ex-Guerillera wird den Kampf bis zum Ende ausfechten. Und ihre Chance, danach gleichsam reingewaschen wieder ins Amt zurückzukehren, sind zumindest intakt. Dann wäre der gestrige Triumph der Rechten eine bitterer Pyrrhussieg.

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