Der tiefe Fall der Dilma Rousseff

Keine Freundinnen, aber strategische Partnerinnen: Angela Merkel und Dilma Rousseff.
Ein Korruptionsskandal, eine lahmende Wirtschaft und galoppierende Inflation: Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff hat nur noch acht Prozent der Brasilianer hinter sich.

Die beiden Politikerinnen mögen einander nicht besonders, zu viel trennt die Christdemokratin und die einst glühende Marxistin. Und doch ist der Besuch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (61) mit ihrem halben Kabinett am Donnerstag ein Lichtblick für Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff. Die Wirtschaftsmisere war ein Thema, immerhin tragen deutsche Unternehmen in Brasilien zehn Prozent des BIP bei; aber mehr ging es um einen Schulterschluss der Länder auf globaler Ebene – beim Klimaschutz, Cyberschutz oder den Bemühungen für mehr Gewicht im UN-Sicherheitsrat.

Eine willkommene Abwechslung für Rousseff. Denn die 67-Jährige durchlebt harte Zeiten: Bei Massenprotesten in mehr als 200 Städten gingen erst am Sonntag wieder fast eine Million Menschen auf die Straße und schrien „Weg mit Dilma!“ Bilder von Samba tanzenden Brasilianern bei Demos in Rio de Janeiro oder São Paulo sollten einen nicht täuschen.
Die Menschen sind wütend über den Mega-Korruptionsskandal beim Staatskonzern Petrobras, in den zahlreiche Politiker aus allen Lagern und Unternehmer verstrickt sind. Das Volk hat Angst um seine Jobs, weil die Wirtschaft lahmt. Es ist verzweifelt wegen der immer höher werdenden Lebenshaltungskosten. Selbst für den Kauf von Flip-Flops bieten einzelne Geschäfte schon Kredite an. Und es fühlt sich verraten, weil Rousseff ihre Wahlversprechen gebrochen hat.

8 Prozent für Rousseff

Mit dem Slogan „Mehr Wandel, mehr Zukunft“ hat sie vor zehn Monaten in der Stichwahl gegen Oppositionsführer Aecio Neves mit 51 Prozent knapp ihre Wiederwahl geschafft. Heute beträgt ihre Zustimmungsrate gerade noch acht Prozent. „Brasilien ist aufgewacht“, kommentierte Neves vor Demonstranten das. Das Volk habe genug von „so viel Korruption“.
Der Schmiergeldskandal rund um den Erdölkonzern Petrobras war allerdings schon vorigen Herbst bekannt, auch die Wirtschaftslage war alles andere als rosig. Massenproteste, sogar gewaltsame, hatte es wegen Korruption und gegen die Milliarden-Ausgaben für die Fußball-WM 2014 in Brasilien schon 2013 gegeben. Bei der WM wurde Rousseff in den Stadien gnadenlos ausgepfiffen. Den Pokal übergab sie zwar dem Weltmeister Deutschland – aber in Blitzgeschwindigkeit, um ein neues Pfeifkonzert zu vermeiden.

Krise beschönigt

Warum hat sie dann überhaupt die Wahlen wenig später gewonnen? „Rousseff hat alles getan, damit sich die Krise nicht so schlimm anfühlt, wie sie eigentlich war. Um so schlimmer fühlt sie sich jetzt an, was auch Rousseffs tiefen Fall erklärt“, sagt Felix Dane von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro. Als Beispiele nennt er die Senkung der Energiepreise ein halbes Jahr vor den Wahlen oder Zuwendungen für den Bildungsbereich. „Aber schon eine Woche nach den Wahlen hat Rousseff den Bildungsetat gekürzt. Und die Energiepreise sind gleich drastisch erhöht worden.“

Dazu kommt, dass sich die Korruptionsaffäre rund um Petrobras und die vielen darin verwickelten Zulieferfirmen ausgeweitet hat. „Viel, viel mehr Politiker und Unternehmer sind an dem Skandal beteiligt als damals bekannt war. Und das volle Ausmaß des Skandals ist noch immer nicht absehbar“, sagt Dane. Dem Staatskonzern droht in den USA nach Informationen von Reuters eine Rekordstrafe von 1,6 Milliarden Dollar. In Brasilien liegen alle Bauprojekte im Umfeld von Petrobras auf Eis, erzählt Dane. „Reihenweise verlieren die Leute ihre Jobs. Vor allem jene, die erst den Aufstieg in die untere Mittelschicht geschafft haben, fürchten den Absturz zurück in die Armut.“

Für heuer erwarten Ökonomen, dass die Wirtschaft um 2,1 Prozent schrumpft; Von einem Wachstum 2016 ist auch keine Rede mehr. Daran werden auch die Olympischen Spiele im August 2016 kaum etwas ändern. Und Rousseff? Sie wird, so kein Amtsenthebungsverfahren gegen sie wegen des Petrobras-Skandals eröffnet wird, die Krise aussitzen. Das ist eine Eigenschaft, die sie mit Merkel verbindet.

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