"Angela Merkel versteht es, mit den Eitelkeiten der Männer zu spielen"

Heute hält Angela Merkel auf der Ehrentribüne in Rio de Janeiro dem deutschen Nationalteam die Daumen. Am 17. Juli feiert sie ihren 60.Geburtstag
Am Donnerstag feiert Angela Merkel ihren 60. Geburtstag. Der EU-Abgeordnete Elmar Brok zählt zu den politischen Vertrauten der mächtigsten Frau der Welt. Eine Analyse ihres Erfolgsgeheimnisses.

KURIER: Herr Brok, Angela Merkel feiert nächste Woche ihren 60. Geburtstag. Wegbegleiter sagen, Merkels Durchsetzungsvermögen war Anfang der 90er-Jahre noch nicht erkennbar. Wie hat sie es zur mächtigsten Frau der Welt geschafft?

Elmar Brok: Sie war damals eine sehr junge Frau, die noch keine politische Erfahrung hatte. Aber sie hat über Jahre bei Helmut Kohl sehr genau hingeschaut. Merkel war damals schon eine hervorragende Analytikerin, die Dinge sehr schnell einordnen und beurteilen kann. Mit dem Erfolg hat sie ihre Durchsetzungskraft entwickelt und die damit verbundene Risikobereitschaft ist gestiegen. Doch ihre Risikobereitschaft wird immer kontrolliert durch Abwägen – so wie es Naturwissenschafter machen. Sie zeigt den Pferden nicht sofort die Peitsche, sondern sie denkt vom Ende her.

Kritiker werfen der Bundeskanzlerin vor, dass ihrer Ära der große politische Wurf fehlt. Resultiert diese Politik der kleinen Schritte aus ihrem analytischen Denken?

Als Kanzler ist man auch Opfer der jeweiligen Zeit, in der man Kanzler ist. Sie hat einen Großteil ihrer Kanzlerschaft mit der Bewältigung der Euro-Krise verbringen müssen. Das ist nicht der Augenblick für Visionen, sondern da muss man schauen, dass die Banken nicht zusammenbrechen.

Der Druck der Euro-Krise hat Merkel keine Visionen entwickeln lassen?

Wir haben systematisch die Euro-Krise bewältigt. Bei der letzten OECD-Studie der reformfähigsten Länder Europas waren Griechenland, Portugal, Spanien und Irland unter den Top 5. Das ist doch ein großer Wurf? Aber Angela Merkel hat auch Visionen. Etwa wenn es um die Kernpunkte der Freiheit geht, wie jetzt bei der Ukraine, dann wird sie auf einmal ganz klar.

Mag es Merkel, wenn man sie Deutschlands Mutti nennt?

Dieser Ausdruck wurde in der Berliner Szene erfunden, und war zuerst etwas despektierlich gedacht. Aber das hat sich gewandelt – aus einem einfachen Grund. Der Ausdruck Deutschlands Mutti steht jetzt für Vertrauen, das in der Finanzkrise gewachsen ist. Irgendwann haben die Menschen gesagt, wir verstehen die Lehman- und die drohenden Staatspleiten nicht. Brauchen wir auch nicht – denn Mutti ist da und sie wird es schon richten für uns. Die Deutschen haben den Eindruck, dass Merkel unaufgeregt die Probleme angeht und ihre Interessen vertritt. Sie ist nicht eitel, benötigt nicht das Triumphgeschrei. Wir Männer neigen dazu, uns in jeder Kneipe voller Stolz zu inszenieren. Es gibt auch Erfolge, wo Merkel auf den öffentlichen Triumph verzichtet hat. Dazu sind wir Männer oft nicht in der Lage.

Ist Uneitelkeit ihr Erfolgsgeheimnis, mit dem sie es neben Alphatieren wie Obama, Putin & Co. geschafft hat, zur mächtigsten Frau der Welt zu werden?

Angela Merkel versteht es, dank ihrer weiblichen Intelligenz, mit der Eitelkeit der Männer zu spielen. Ihr Lieblingswitz lautet: Sarkozy, Obama und Berlusconi stehen an einem See und sehen im Wasser eine wunderschöne Insel. Sagt der Silvio Berlusconi: Lasst uns zur Insel gehen. Schritt für Schritt geht Berlusconi übers Wasser zur Insel. Obama schreitet hinterher. Als letztes geht Sarkozy los und versinkt im Wasser. Daraufhin sagt Berlusconi zu Obama: "Der Sarkozy wusste vielleicht nicht, wo die Steine liegen." Und Obama antwortet: "Welche Steine?" An diesem Witz konnte sie sich richtig ergötzen. Er beschreibt jeden der drei in seiner Eitelkeit. Dazu kommt: Sie verarbeitet blitzschnell. Merkel ist nach wie vor bereit, Lagebeurteilungen einzuholen – auch kritische. Die Kanzlerin liebt Advocatus-Diaboli-Diskussionen, um ihre Argumente zu prüfen. Dadurch geht sie so gut vorbereitet wie kaum ein anderer in Verhandlungen.

Was war Merkels Stärke in der Krise?

Merkel hat es geschafft, das Prinzip der konditionierten Hilfe gegen viele Widerstände durchzuhalten. Das war entscheidend. Unterstützung bekommt nur derjenige, der fiskalische Solidität und Strukturreformen angeht.

Horst Seehofer sagt, wer Merkel unterschätzt, hat schon verloren ...

Diesen Satz unterstreiche ich ganz dick.

1999 erklärte sie nach dem Spendenskandal in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Ära Kohl ohne Rücksprache mit der Partei für beendet. Hat Sie dieser Schritt damals überrascht?

Ja. Weil auch ich sie damals unterschätzt habe.

Warum ?

Weil man es ihr nicht zutraute. Sie war zwar Generalssekretärin, war aber nie als Partei-Chefin in der Planung. Niemand hätte gedacht, dass Merkel in der entscheidenden Sekunde den Machtwillen so deutlich zelebriert. Das war eine Überraschung. Eine Kunst von Angelas Merkel ist, sich keine unnötigen Feinde zu machen. Sie hat oft Menschen besiegt, ohne dass die dabei das Gesicht verloren haben. Einer ihrer Prinzipien ist, man muss Verlierer nicht noch demütigen.

"Angela Merkel versteht es, mit den Eitelkeiten der Männer zu spielen"
U.S. President Barack Obama and German Chancellor Angela Merkel listen during the G7 Summit working dinner in Brussels June 4, 2014. The world's leading industrialized nations meet without Russia for the first time in 17 years on Wednesday, leaving President Vladimir Putin out of the talks in retaliation for his seizure of Crimea and Russia's part in destabilizing eastern Ukraine. REUTERS/Kevin Lamarque (BELGIUM - Tags: POLITICS BUSINESS)

Über die Eitelkeit von US-Präsident Barack Obama erzählt Angela Merkel ihren Freunden leidenschaftlich gerne Witze.

Selbst Alphatiere wie Russlands Präsident Wladimir Putin haben höchsten Respekt vor Angela Merkel. Sie spricht gut Russisch.

xyz
https://images.kurier.at/46-63496401.jpg/74.600.677
/Sandra Steins/ Elmar Brok
Elmar Brok & Angela Merkel
Elmar Brok & Angela Merkel

Elmar Brok mit Angela Merkel. Die Kanzlerin holt Rat bei ihm ein.

Angela Merkel und der Fußball

Langlaufskier aus der DDR, linkisch getragen von der abgekämpften Frau in schrägem Stirnband und farbloser Fleece-Jacke: Die Bilder von Angela Merkel kurz vor ihrem weihnachtlichen Hinfaller im Schweizerischen Pontresina amüsieren die Deutschen.

Nicht wegen des erst eine erstaunliche Woche später diagnostizierten Becken-Anbruchs (Internet-Spott: „Po-Falla“ – nach ihrem um seinen Versorgungsjob bei der Bahn bangenden engsten Mitarbeiter der letzten Jahre, Ronald Pofalla), sondern wegen Merkels Outfit: Dem einer Frau, die sich demonstrativ nichts aus Mode zu machen scheint, einer im deutschem Durchschnittsgeschmack – von vor 20 Jahren. Das erinnert an ihre Paparazzi-Fotos im Badekleid aus dem Italienurlaub 2013.

Die Frau, die nun im neunten Jahr Deutschland so unbestritten wie kaum ein Vorgänger regiert und damit Europa etwas mit, gibt sich maximal unprätentiös: „Als Kind“, sagte sie einmal, „war ich ein kleiner Bewegungsidiot“. Sie habe daher ihre Erfolge „statt im Sport in Mathe und Russisch“ geholt, um in der DDR weiterzukommen.

„Kein Widerstand“

Die DDR-Biografie habe Merkels Verhältnis zu Äußerlichkeiten beeinflusst – und nicht nur zu denen, behaupten ihr Nahestehende: Sache ist wichtig, nicht ihre Verpackung. Und unterschätzt werden, kann nur nützlich sein.

Ihr frühes Leben ist inzwischen nicht nur politisch so gut dokumentiert, dass sicher ist: Sie war keine Profiteurin des Regimes, aber „auch wirklich keine Widerstandskämpferin“ (Merkel 2013). Die junge Angela Kasner blieb lange unauffällig und lebte den großen Ehrgeiz als Top-Physikerin aus.

Die Zwangsbeschränkung der DDR aufs modisch Zweckmäßige statt Zwanghafte wurde ihr Stil. Viel mehr als bei anderen der einstigen DDR-Elite: Bundespräsident Joachim Gauck, damals prominenter Pfarrer mit Westvisum, kostet seit Langem die gediegene westdeutsche Bürgerlichkeit so aus wie Gregor Gysi, der die Linkspartei aus der DDR herüber rettete und bis heute dominiert.

Merkel inszeniert sich minimalistisch“, analysierte die Welt zu ihrem Empfang der Sternsinger im Kanzleramt auf Krücken. Leidenschaftlich undramatisch sehen sie auch ihre bald zwei dutzend Biografen. Doch nichts, fast nichts ist Zufall, was über sie an die Öffentlichkeit dringt, politisch und privat, auch bei ihr nicht.

Authentisch

Aber es ist authentisch. Nie würde sie ihre Partei aus der Selbstverständlichkeit einer Nierenspende für den Ehepartner eine Pressekonferenz machen lassen wie 2013 Frank-Walter Steinmeier, inzwischen wieder ihr SPD-Außenminister. Gestellte Szenen wie einst von CDU-Kanzler Helmut Kohl mit (scheinbar) heiler Familie am Wolfgangsee oder des sich mit Gitarre als Jugend-Ikone inszenierenden SPD-Vorvorgängers Willy Brandt sind bei Merkel undenkbar. Auch wenn sie im Politikbetrieb gerne ihre Friseurin in Reichweite hat: Jede noch so kleine Übertreibung ist verpönt.

Ihre Aura nährt sich aus dem größtmöglichen Gegensatz von echter Machtfülle und äußerlichem Understatement. Und dessen Perfektion ist die maximale Privatsphäre. Das funktioniert im Medienzeitalter nicht von selbst: Fotos aus Merkels Wohnzimmer in prominenter Ostberliner Lage gibt es nicht und nur wenige vom ebenso dauerbewachten Ferienhaus am See ihrer ostdeutschen Heimatstadt Templin. Persönlicher Freund bleibt nur, wer darüber und die Konversation schweigt wie ein Grab. Sogar ihr Fan Reinhold Messner versucht das.

In Merkels einzigartiger Position wirkt aber schon die Absicht, keine Allüren zu zeigen, leicht als Allüre: Beschränkung des Lebensstils auf Substanzielles (Akzente wie bei Bayreuth-Premieren sind umso spektakulärer), eine authentische Intellektualität, echter Humor, und nicht zuletzt der notorisch öffentlichkeitsscheue, Nobelpreis-verdächtige Physiker-Ehemann. Das im Urlaub schrullige Outfit beider gerät da leicht in den Verdacht des selbstironischen Statements, der lustvollen Maximierung ihres politisch so erfolgreichen Prinzips des betonten Understatements.

Denn dass eine Kanzlerin auch ihre private Rolle nicht ohne politisches Kalkül spielen kann, zeigt Merkel am stärksten , wenn sie im Osten eigene DDR-Erinnerungen mobilisiert. Wer von dort solch einen Aufstieg schafft und den auch noch so dauerhaft, ist eben souverän. Trotz Uralt-Skier, deren DDR-Marke schon einst nicht zufällig an „Germania“ erinnerte.

20 Fakten über Angela Merkel

Kommentare