AfD: Protest- oder Programmpartei?

Im Siegesstaumel: AfD-Chef Bernd Lucke sieht „große Chancen“.
Die vom Euro-Kritiker zum General-Populisten gewordene "Alternative" mischt Deutschlands Politik auf.

Wir werden Volkspartei", freute sich Parteichef Bernd Lucke am Wahlabend. Und das ist mehr, als auch er erwartet hatte: Eigentlich hatte der Wirtschaftsprofessor die "Alternative für Deutschland" als rechtes Korrektiv für Merkels CDU und ihre Euro-Rettung gegründet. Nun ist sie offenbar auf dem Weg, mehr zu werden: Zumindest die größte Protestpartei.

Mit 9,7 bis 12,2 Prozent in drei Ländern und bei der EU-Wahl sieben Prozent ist die AfD gerade mal 20 Monate nach der Gründung keine Spontanbewegung mit Sektencharakter mehr, so wie die letzten Newcomer, die Piraten. Zwar kommen fast alle AfD-Gründungs- und Vorstandsmitglieder aus konservativem Milieu mit langer CDU-Mitgliedschaft. Doch ihre Wähler holen sie sich nun überall – anders als die Piraten, die aus dem überfischten linken Gewässer auf- und wieder eintauchten.

Bei der Bundestagswahl vor genau einem Jahr schien die AfD noch der FDP-Nachfolger für Konservative zu werden, blieb aber auch da schon nur knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Diesen Sonntag machten Ex-CDU-Wähler aber nur etwa ein Fünftel aus, kaum weniger liefen aus der zerbröselnden FDP, der SPD, ja sogar der kommunistischen "Linken" zu ihr über – und aus dem hier besonders großen Lager der Nichtwähler.

Rechtspopulismus

Dafür hatte die AfD fast ihre ganze wirtschaftsliberale Seele verkauft, mit der sie anfangs gegen eine illegale Eurorettung auf deutsche Kosten angetreten war: Mehr als Konservative und Leistungsträger umwarb sie nun Modernisierungsverlierer. Mit Parolen, die eher an die FPÖ als die FDP erinnerten: Amerika-feindlich, Putin-freundlich, sehr Ausländer-kritisch und für einen starken Staat, wie ihn sich kaum der "Linke"-Kandidat für den Thüringer Ministerpräsidenten zu fordern traute.

Damit ist die AfD nun nicht mehr die kleine Sorge der Union, als die sie CDU-Chefin Merkel bisher abtat. Für CDU und CSU ist sie nun die größte – zumindest, solange die Aktivität der SPD in der Berliner Koalition stimmenmäßig so verpufft wie bisher. Der einflusslose Rest des konservativen Flügels kam daher gleich am Montag mit einem Papier, das die Parteichefin zum Nachjustieren der CDU-Positionen auffordert. Bisher war so etwas ohne Resonanz geblieben – kein Wunder angesichts von Merkels 42 Prozent bei der Bundestagswahl. Ihr Bannfluch, die AfD als reine "Protestpartei" zu ignorieren und sie damit zu isolieren, wirkt nun aber nicht mehr.

Merkel selbst setzte dafür im Wahlkampfendspurt schon subtile Signale mit Versprechungen eines durchsetzungswilligeren Staates. Der gewollte Eindruck des Stopps ihrer schleichenden Sozialdemokratisierung der Union kam aber zu spät. Ob sie nun auch einen härteren Kurs bei der Eurorettung fährt, hängt auch vom neuen EU-Kommissionschef Juncker ab: Eine Konfrontation ließe sich von ihr notfalls als versuchte Kurskorrektur verkaufen.

Mehr Konkurrenz

Die AfD ist nun aber noch mehr: Eine reale Konkurrenz für alle Parteien. Am wenigsten noch für die Grünen, die trotz überproportionaler Medienpräsenz von selbst auf ihren altlinken Kern schrumpfen. SPD und Linke werden sich nicht lange über die Bedrohung für die Union freuen: Die AfD zwingt auch sie zur Benennung der echten Probleme des Landes und der langfristigen Folgen von sozialdemokratischer Politik für die Erhaltung des deutschen Wohlstands. Solche Kritik und Fragen nur als demokratiefeindlich zu verteufeln, hat schon den Protestparteien in den anderen Ländern viel genutzt.

In Deutschland belebt die erstarkende AfD zwar den politischen Wettbewerb, verringert aber auch die aktuellen Koalitionsoptionen: Sie zwingt Union und SPD noch mehr zusammen, solange sie von denen als regierungsfähig ausgegrenzt wird. Erst danach könnte sie, wie alle Vorbilder in Europa, schnell an ihre Grenzen stoßen.

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