Siebzig Jahre und ein bisschen müde

Martina Salomon

Martina Salomon

Es ist – bei aller Kritik – eine tolle Leistung zweier Parteien, sich sieben Jahrzehnte zu halten.

von Dr. Martina Salomon

über die Partei-Jubiläen

Mit 70 Jahren ist ein Mensch meist abgeklärt, gefestigt in seinen Beziehungen und heutzutage auch noch sehr leistungsfähig. Das Gegenteil ist bei den beiden einstigen Großparteien der Fall, die in dieser Woche beide "Geburtstag" feierten.

In ihren Gründerjahren waren die weltanschaulichen Lager klar aufgeteilt, die Wähler treu. Jetzt ist alles im Fluss, wir leben an einer Zeitenwende: Die Digitalisierung krempelt gerade die Arbeitswelt um, und neue Völkerwanderungen verändern unsere Gesellschaft. (Wobei sich die Regierungsparteien der Diskussion stellen müssen, ob man in Europa radikal-islamische Einwanderer aufnehmen soll, die in Flüchtlingsschiffen Christen über Bord werfen, um sie ertrinken zu lassen.)

Die ÖVP-Regierungsmannschaft scheint für diese unübersichtlichen Zeiten besser aufgestellt zu sein, wie ihr sogar manch prominenter "Roter" bescheinigt. Aber auch die Schwarzen kämpfen mit zerbröselnder Anhängerschaft. So fühlt sich der Wirtschaftsflügel bei Reformen (Steuerreform, Tabakgesetz) im Regen stehen gelassen. Viele Bauern sehen bei der Pro-TTIP-Linie rot. Sogar Vertreter des innerparteilich wichtigen Cartellverbands geißeln die "Sozialisten" in der ÖVP.

In der SPÖ stoßen der Macht-Pragmatismus und die Farblosigkeit des Parteichefs auf Murren. In dieser Situation auch noch die Lehrerschaft zu verprellen, war nicht ausgesprochen hilfreich.

Hoher Sozialstandard

Aber in den Schlagworten der beiden Parteien schimmert die alte Stärke und das klare Profil durch: Verantwortung und Leistung bei der ÖVP. Soziale Sicherheit und Beschäftigung bei der SPÖ. Die Anforderungen an die Regierung sind EU-weit gleich: Den hohen Sozialstandard in Europa halten (sieben Prozent der Weltbevölkerung leisten sich die Hälfte aller Sozialleistungen weltweit). Und dennoch global wettbewerbsfähig bleiben. In dieser Situation ein Handelsabkommen mit den USA zu bekämpfen ist falsch. TTIP ist nicht "böser" ist als die vielen Dutzend anderen Handelsabkommen, die es bereits gibt.

Es ist – bei aller Kritik – eine tolle Leistung zweier Parteien, sich sieben Jahrzehnte zu halten. Ihre bisherige Bilanz ist nicht schlecht: Wir leben heute in der "am wenigsten ungerechten Gesellschaft der Geschichte", wie es der Soziologe Manfred Prisching beim ÖVP-Festakt formulierte. Dieser Status lässt sich aber nicht mit billiger populistischer Politik halten – und auch nicht mit Rezepten der Siebzigerjahre, wie Hannes Androsch seinen Parteifreunden mahnend ausrichtet.

Politik ist heute wahrscheinlich noch ein viel schwierigeres Geschäft als vor einigen Jahrzehnten, weil sich der Gegenwind gegen die Volksvertreter zum Orkan ausgewachsen hat. Europaweit werden Parteien für – richtige – Reformen abgewählt, obwohl es den Bürgern meist noch gut geht. Deswegen sind leider im Zweifel die Zyniker der Macht bessere Politiker als die Romantiker der Macht.

Die Zukunft gestalten können nur mutige Persönlichkeiten mit klarer Vision. Und wenn man sich darüber hinaus noch etwas wünschen dürfte: Für eine gesunde politische Landschaft braucht es auch gelegentlich Machtwechsel. Aber wir leben in Österreich: Und da sind die beiden "Siebzigjährigen" offenbar auf ewig unglücklich aneinandergekettet.

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