EU droht an elitärem Dünkel zu ersticken

Europas wichtigste Wahl bewegt weniger als der 59. Song Contest: Brüssel muss raus aus der Insider-Falle.
Josef Votzi

Josef Votzi

EU droht an elitärem Dünkel zu ersticken

von Josef Votzi

über die EU-Wahl

Auf ORF eins wurde Donnerstagabend drei Stunden Nonstop der 59. Eurovisions Song Contest geboten. Mehr als Achthunderttausend Zuseher saßen zu nachtschlafener Zeit noch vorm Schirm.

Auf ORF 2 kreuzten zeitgleich die beiden Kandidaten für den EU-Kommissionschef live die Klingen. Bis zu 333.000 Zuseher entschieden sich zwei Wochen vor der EU-Wahl für Jean-Claude Juncker und Martin Schulz .

In Kopenhagen wurden die 26 Kandidaten fürs gestrige Finale eines europaweiten Sänger-Wettbewerbs gekürt. In Berlin wurde zur selben Stunde darum gerungen, wer künftig welche Weichen für das Leben von 500 Millionen Menschen in Europa stellt. Der österreichische Favorit für den Song Contest, Tom Neuwirth alias Conchita, verwurstete zwei EU-Granden gleich mehrmals, wenn es um die Aufmerksamkeit des Publikums geht.

Amüsieren wir uns zu Tode? Schrauben sich die Medien aus ihrer Verantwortung, indem sie eine herausfordernde Premiere mit einem populären Evergreen zu Tode programmieren? Der ORF muss sich in der Tat nicht nur diese Frage gefallen lassen. Anspruchsvolle Formate wie Raimund Löws "Inside Brüssel" schaffen es über den Nischensender ORF III nicht hinaus. Bürgerdebatten sind erst gar nicht vorgesehen. Medienhäuser wie der KURIER können monatelang pralle Info-Pakete bieten (wie aktuell ein Special zur EU-Wahl auf kurier.at). Heerscharen von Journalisten können sich die Finger wundschreiben, wie spannend und wichtig der Alltag in Brüssel ist. Solange dort eine Erbsünde nicht professionell aufgearbeitet wird, bleibt die EU ein Nice-to-have-Thema.

Stimmzettel ohne Wahlmöglichkeit

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer proklamiert zu Recht: "Die EU war jahrzehntelang ein Projekt der politischen Elite. Jetzt soll es ein Projekt der Bürger werden." Der Stimmzettel für die EU-Wahl löst diesen Wunsch nicht ein. Mit Martin Schulz und Jean Claude Juncker präsentieren sich erfreulicherweise erstmals zwei Kandidaten für die EU-Spitze. Ein österreichischer EU-Bürger kann aber keinen Einzigen der als supranational angepriesenen EU-Größen wählen. Wer Martin Schulz als EU-Chef will, muss Eugen Freund für den richtigen Mann in Brüssel halten und umgekehrt; wer Jean Claude Juncker bevorzugt muss Othmar Karas ankreuzen.

Ein absurder Stimmzettel, der den gebotenen Persönlichkeits-Wahlkampf zu einer Farce macht: Schulz und Juncker posieren nur für ein neues Europa. Vielen Bürgern bleibt da nur die Wahl, weiter danebenzustehen.

Die EU-Wahl 2014 wird so vor allem von sich reden machen, dass die Mehrheit null Bock darauf hatte (siehe KURIER-OGM-Umfrage Seite 6, 7). Seit Jahren wird versprochen, für Europas wichtigste Wahl einen Stimmzettel mit EU-weiten Kandidaten aufzulegen. Dafür bräuchte es eine Verfassungsänderung in der EU samt Ratifizierungsverfahren in allen Mitgliedsstaaten. Davor schreckte die Union bisher zurück. Die Zeit ist überreif, um den Geburtsfehler des elitären Dünkels endlich zu beheben.

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