Mutige Erklärungen allein sind zu wenig

Im Streit um den Genozid an Armeniern braucht es den Dialog Ankara/Eriwan.
Walter Friedl

Walter Friedl

Im Streit um den Genozid an Armeniern braucht es den Dialog Ankara/Eriwan.

von Mag. Walter Friedl

über die Völkermord-Debatte

Papst Franziskus hat das Heft in die Hand genommen, und daraufhin wagten sich viele Bedenkenträger aus der Deckung: Das, was Hunderttausenden Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich widerfahren ist, sei "Völkermord" gewesen. Mutige Worte, auf die die Türkei beleidigt und über das Ziel schießend reagierte. "Unsinn", polterte Präsident Erdogan, die Klassifizierung der Ereignisse als Genozid durch das Europaparlament gingen dem Staatschef "bei einem Ohr rein und beim anderen wieder raus". Dieses nationalistische Gehabe ist nicht nur der Parlamentswahl am 7. Juni geschuldet, sondern auch der Paranoia der türkischen Führung, das Ausland wolle die Türkei demütigen und schwächen. Das ist zwar Humbug, aber die Regierungspartei AKP fährt gut damit.

Das päpstliche Vorpreschen zum 100. Jahrestag der Massaker ließ jedenfalls die Politik in Berlin und Wien umdenken. In beiden Parlamentserklärungen kommt das Wort Völkermord ausdrücklich vor.

Inhaltlich ist die Genozid-Frage von Historikern eigentlich beantwortet. Das Urteil der allermeisten: Es war Völkermord. Politisch ist die Sache komplizierter. Das Eingeständnis, für die bewusste Vernichtung von bis zu 1,5 Millionen Menschen verantwortlich zu sein, kommt einem eben nicht leicht über die Lippen. Der türkische Premier Davutoglu hat sich angesichts der Tatsache, dass immer mehr Länder von Ankara fordern, den Genozid anzuerkennen, wenigstens ein bisschen bewegt: Er teile den Schmerz der Nachkommen jener Armenier, die ihr Leben bei den Deportationen 1915 verloren hätten. An diese Geste sollten alle Seiten, auch die armenische, anknüpfen, um einen Schritt weiterzukommen. Ein bedingungsloses Einlenken Ankaras wird es nicht geben. Insofern wäre eine gemeinsame Historiker-Kommission, erweitert um internationale Experten, gesichtswahrend für die Türkei. Pikanterweise bremst Armenien. Das ist unverständlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Faktenlage, wie Eriwan meint, ohnehin erdrückend sei. Genauso unverständlich ist es, dass der armenische Botschafter in Wien ein KURIER-Streitgespräch mit seinem türkischen Kollegen ablehnte. Die andere Seite würde bloß lügen, so die Begründung. Das zeugt von einer tiefen Kluft zwischen beiden Völkern und dass man von einer Lösung noch meilenweit entfernt ist.

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