Europas Hang zum Sich-Krankreden

Die EU hat viel gemeistert und steht vor neuen Aufgaben - Selbstzerfleischung braucht’s da nicht.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Sie hat als Wirtschafts- und später als Währungsunion eine Prosperität geschaffen, die alles Schlechtreden Lügen straft.

von Andreas Schwarz

über Europas Stärken

Das Dauerthema Griechenland hat eine kleine Pause. Der Ministerpräsident in Athen ist dabei, die Scherben zu kitten, die er mitverursacht hat; Wolfgang Schäuble trägt die Rolle des pedantischen Deutschen mit Gelassenheit, weil er weiß, dass er recht hat; und Europa atmet durch: Ist ja alles noch einmal gut gegangen, die EU hält, der Euro hält, und wer weiß, vielleicht zieht sich Griechenland ja jetzt doch noch selbst mit aus dem eigenen Sumpf.

Die Ruhe trügt natürlich. Die griechische Tragödie ist noch lange nicht zu Ende. Niemand weiß, wie lange die chaotische Tsipras-Truppe sich noch hält. Was dann folgt. Wie weit das Staatsunvermögen in der griechischen Bevölkerung schon begriffen wird.

Und nicht am Horizont, sondern hier und jetzt steht Europa vor viel größerem Ungemach: Der Flüchtlingswelle an seinen Grenzen und auf dem Kontinent, für die jede Idee zur Lösung fehlt. Und den Radikalpopulisten links und rechts, die daran wachsen und die das Projekt Europa scheitern sehen möchten. Politik wie Medien machen es ihnen leicht und reden die EU in die Krise.

Was für eine Krise? Stellen sich die USA in Frage, weil sie viel verbockt haben (Nahost) und mitverantwortlich sind für einen ganzen Korb an Problemen der Gegenwart, fragte jüngst die renommierte Zeit? Gehen die in Sack und Asche oder erhobenen Hauptes nach vorne?

Große Kraft trotz vieler Mängel

Auch Europa hätte allen Grund dazu. Die Europäische Gemeinschaft ist gegründet worden als Friedensprojekt auf dem alten Kontinent. Sie hat diese Rolle erfüllt und ausgedehnt auf Gebiete, die noch spät in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts anderes erleben mussten. Sie hat als Wirtschafts- und später als Währungsunion eine Prosperität geschaffen, die alles Schlechtreden Lügen straft. Sie hat die Finanzkrise, die nicht von Europa ausging, vergleichsweise gut verarbeitet, hat trudelnde Staaten vor dem Absturz bewahrt. Sie hat bei all dem auch Fehler und Fehleinschätzungen gemacht (z. B. Ukraine) – aber Krise?

Dass sie noch immer keine Telefonnummer hat, die Henry Kissinger anrufen kann, wenn es um Europas Außenpolitik geht, soll heißen: dass sie keine gemeinsame Regierung hat, ist Fakt. Das Ziel, zuletzt wieder von Parlamentspräsident Schulz postuliert, ist zu hoch gesteckt. Europas große politische Kraft ist die Summe und manchmal der kleinste gemeinsame Nenner seiner Mitgliedsstaaten. Dafür bewältigt Europa seine Aufgaben sehr gut. Wer einen Vergleich braucht, nehme den Föderalismus in Österreich, wie der Reformen oder einer Lösung bei der Flüchtlingsaufteilung im Wege steht.

Apropos: Die EU ist jetzt mit Problemen konfrontiert, für die sie nicht gebaut war, wie die Zeit ebenfalls schreibt – von Finanzkrisen über Putin bis zur Migration. "Das Europa der staatspolitischen Entwürfe wird nun ergänzt durch das Europa der Ereignisse und des Improvisierens." Dieses Improvisieren mag man sich in den Händen von Le Pens, Wilders oder Straches ohne ein EU-Europa besser nicht vorstellen.

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