Ein Schweden-Spiel war Nebensache

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Österreichs Kicker siegten - doch Ilona Gusenbauer erzielte zuvor Hochsprung-Weltrekord.

von Wolfgang Winheim

über Ilona Gusenbauer

So sehr der vielseitigen Sportnation Schweden Bewunderung gilt, so verblüffend ist es, dass Österreich bisher kein Bewerbsspiel im Fußball gegen die Skandinavier auf österreichischem Boden verloren hat. Ja, einmal, am 4. September 1971, konnte ein rot-weiß-roter Triumph sogar schon vor Anpfiff von Österreich vs. Schweden bejubelt werden.

Ilona Gusenbauer erzielte Hochsprung-Weltrekord. Und das vor einem Fußball-Publikum, das von Leichtathleten, die zuweilen als Pausenfüller bei Liga-Spielen hatten herhalten müssen, wegen hämischer Zwischenrufe gehasst worden war.

Weil die sonst zurückhaltende Gusenbauer den Rekordversuch selbstbewusst angekündigt hatte, waren die Ränge schon dicht gefüllt, noch ehe die Fußballer von Schweden und Österreich im Prater-Stadion eingetroffen waren.

Ein Schweden-Spiel war Nebensache

Das Vorprogramm wurde zum Haupttreffer: Gusenbauer übersprang 1,92 Meter. Obwohl sie sich nicht mit dem Rücken voran über die Latte wuchtete, wie das bald nach ihr nahezu alle Top-Athleten machten (und machen). Der nach seinem ErfinderDick Fosbury, 1968 Olympiasieger, benannte Fosbury-Flop garantiert tatsächlich rasche Erfolgserlebnisse. Für die hochbegabte Wiener Hochspringerin aber wurde der konservative Straddle-Stil nicht zum Flop.

Ilona entriss der Rumänin Iolanda Balas den Weltrekord, worauf in internationalen Leichtathletik-Gremien aufgeatmet wurde: Balas hatte nach einem Geschlechtstest jegliche Wettkämpfe gemieden.

Ilona Gusenbauer hingegen war allein schon optisch über alle Zweifel erhaben. So bezeichnete Frankreichs Sportbibel L’Équipe die Wienerin als Europas attraktivste Leichtathletin und erkor sie zum Covergirl.

Auch beim deutschen Fernsehen war die Blondine im Bilde. Nur drei Stunden nach ihrem Weltrekord und nur eine halbe nach dem Ländermatch, das Österreich gegen Schweden durch ein Tor von Sepp Stering 1:0 gewonnen hatte, wurden sie und ÖFB-Spielmacher Hans "Buffy" Ettmayer per Blaulicht-Eskorte zum Flughafen gebracht. Fast hätten sie die Maschine Richtung Berlin zu TV-Liveauftritt und Funkausstellung trotzdem verpasst, "als wir durch eine entgegenkommende Polizei-Staffel gestoppt wurden". Aber weil der von einem Staatsbesuch heimkehrende Bundespräsident Franz Jonas in der schwarzen Staatskarosse saß, hielt sogar Teamregisseur Ettmayer sein sonst so loses Maul.

Ettmayer galt mit und ohne Ball als der genialste Wuchtelakrobat seiner Generation. Inzwischen muss er sich nachsagen lassen, dass er reif für die Gleichenfeier sei: gleich breit wie hoch. Ilona Gusenbauer hingegen wurde immer schlanker. Zumal die weltbeste Hochspringerin viele Tiefs zu überwinden hatte nach ihrer einzigartigen Karriere. Auch gesundheitliche Sorgen warfen die dreifache Mutter zurück. Speziell in Krisenzeiten kam ihr entgegen, dass sie sich parallel zum Sport (Ilona spielte auch sehr gut Basketball) immer auch der Kunst verschrieben hatte. Nur posaunte sie das nie heraus. Dabei hatte sie schon bei Wettkampfreisen "immer einen Malerpinsel oder einen Zeichenstift mit dabei".

Ein Schweden-Spiel war Nebensache
ilona gusenbauer,

Heute lebt Ilona Gusenbauer im Haus Mariahilf – einem Kloster in Breitenfurt bei Wien, das sie zum Atelier umfunktioniert hat. Und das schon mehrmals Schauplatz von Ausstellungen war.

Seit dem Vorjahr haben die Vernissagen Pause. Weil Gusenbauer ihre Mutter bis zu deren Ableben pflegte, und weil sie das Sporteln mit ihren beiden Enkeln nicht missen will, kam die Malerei zu kurz. Irgendwann im kommenden Jahr aber sollen wieder Bilder und Skulpturen made by Gusenbauer öffentlich zu bewundern sein.

PS: Ilo wäre mit ihrer 43 Jahre alten Bestleistung von 1,92 in der aktuellen österreichischen Jahresbestenliste überlegene Nummer 1. Und in Schweden Nummer 2.

PPS: Ein Leichtathletik-Weltrekord wie 1971 vor ÖsterreichSchweden wäre heute, selbst wenn sich Usain Bolt nach Wien verirren würde, in der selbsternannten Sportstadt nicht mehr möglich. Die Anlage des Happel-Stadions, auf der in diesem Jahrtausend niemand ein Meeting zu veranstalten wagte, bekommt nicht einmal für eine nationale Meisterschaft das Pickerl.

Ilona Gusenbauer wurde am 16. 9. 1947 in Gummersbach (D) als Ilona Majdan als Tochter einer Rheinländerin und eines Wieners mit ungarischen Wurzeln geboren. Sie wuchs in Wien auf und kam in den 1960er-Jahren zum Hochsprung. Gemeinsam mit ihrem Trainer und späteren Ehemann Roland Gusenbauer feierte die 1,81 Meter große Frau 1970 den Hallen-Weltrekord (1,88 m bei der EM in Wien), 1971 Freiluft-EM-Gold und den Weltrekord im Prater-Stadion, 1972 gab es Olympia-Bronze. Die dreifache Mutter und zweifache Großmutter holte zudem sechs Staatsmeistertitel im Basketball.

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