Tagebuch: Der letzte Zeitzeuge

Tagebuch: Der letzte Zeitzeuge
Am Freitag wird im Hanappi-Stadion der 90-Jährige Otto Fodrek geehrt.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Freitag wird einer, der nie Rapid angehört hat, im Rapid-Stadion geehrt. Bis zuletzt spielte er im Bauch des größeren Happel-Stadions in seinem Fitness-Klub, den er jetzt schließt, den Vorturner. Was daran so besonders ist? Der Mann wird 90 Jahre alt. Noch mit 87 verfasste Otto "Stopperl" Fodrek ein Buch, zu dem ihm der prominenteste seiner ehemaligen Mitturner (Bundespräsident Heinz Fischer) gratulierte. Darin lässt sich nachlesen ... ... wie er vor 90 Jahren als 13. Kind eines Kriegsveteranen auf die Welt kam; ... wie das sogenannte Wunderteam vor 80 Jahren Deutschland 6:0 schlug und weitere 13 von 17 Spielen gewann; ... wie Austria-Leihspieler Fodrek vor 70 Jahren den Rapidler Bimbo Binder bewunderte, weil der gegen Schalke im Berliner Endspiel der deutschen Meisterschaft drei Tore schoss; ... wie Fodrek vor 60 Jahren mit WAC ins Ausland und erstmals zu Steaks kam; ... wie Österreich vor 50 Jahren gegen England und Spanien siegte, doch der ÖFB aus Kostengründen auf die Qualifikation für die WM in Chile verzichtete; ... wie Ilona Gusenbauer vor 40 Jahren im Prater-Stadion mit 1,92 Hochsprung-Weltrekord erzielte; ... wie Fodrek vor 30 Jahren als Masseur den FC Antel zu coachen begann, was in der Aufnahme ins Guinness-Buch der Rekorde gipfelte, als der Kader (auf Wunsch von Regisseur Franz Antel) zu Juxpartien mit einem Gesamtalter von knapp 1000 Jahren einlief. Nur über das ungewöhnlichste Spiel schrieb Spaßvogel Fodrek nie. Weil es nicht lustig, ja aus heutiger Sicht unfassbar, war. Fodrek ist der letzte noch lebende Spieler, der im April 1945 am letzten Wiener Spiel (WAC - Austria 6:2) vor Kriegsende mitwirkte. Immer wieder musste auf dem WAC-Platz im Prater wegen Fliegeralarms unterbrochen werden. Der Himmel am südöstlichen Stadtrand war schon rot gefärbt vom Granatfeuer. Trotzdem wurde noch über Abseitsentscheidungen gestritten.

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