Kussecht

Karl Hohenlohe

Karl Hohenlohe

Heute ist der Kuss zum belanglosen Händeschütteln verkommen.

von Karl Hohenlohe

über das Küssen

"Der Kuss" von Klimt zählt zu den meist bestaunten Bildern überhaupt. Menschentrauben versammeln sich vor dem Gemälde, immer wieder küssen sich Japaner davor und halten diese Feier-Sekunden mit kleinen Kameras fest.

Außerhalb der Museen hat der Kuss aber stark an Strahlkraft verloren. Jeder küsst jeden, Männer Männer, Frauen Frauen und das zu jeder alltäglichen Gelegenheit. Früher war der Kuss ein Zeichen der Hochachtung, der Liebe, des Verrats, heute ist der Kuss zum belanglosen Händeschütteln verkommen.

Dies, verehrte Leserschaft, wäre der Einstig der heutigen Versenkung gewesen, aber ich ersuche ihn als nicht gelesen zu betrachten.

Denn der Kuss lebt. Frau Elisabeth Orth, die neue – manche Menschen sagen frischgebackene – Doyenne des Wiener Burgtheaters wurde gerade erst in der Kantine des Akademietheaters gefeiert.

Irgendwann an diesem Abend näherte sich ihr Sohn, der berühmte Schauspieler Cornelius Obonya, küsste sie ganz langsam, erst links, dann rechts auf ihre Wange, dann, und dies war der zärtlichste Teil dieser schönen Geste der Zuneigung, legte er seine Stirn auf ihren Kopf und verharrte kurz.

Da war nichts Pathetisches, nichts Übertriebenes, nichts Salbungsvolles oder Gestaltetes. Es war ein ehrlicher Kuss, wie er sonst nur an Muttertagen zur Verwendung kommt.

Gustav Klimt hat einen anderen Kuss gemalt, der sich auch dadurch unterscheidet, dass im Belvedere doch ein ganz klein wenig Affektiertheit mitschwingt.

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