Symbolische Attacke mit Sachschaden

Zwei aktuelle Kunstaktionen lassen die Diskussion um Vandalismus in der Kunst wieder aufflammen - befeuert durch Kritik im Netz.
Michael Huber

Michael Huber

Es sind zwei sehr unterschiedliche "Kunstskandale", und doch haben sie vieles gemeinsam: Im einen Fall geht es um ein auf rund 50 Millionen Pfund geschätztes Gemälde, im anderen um ein paar Vorhängeschlösser. Und in beiden Fällen geht es um Vandalismus, der von sich behauptet, Kunst zu sein. Das Gemälde stammt von Mark Rothko, hing bis vor kurzem in der Londoner Tate Modern und wurde am 7. Oktober von einem Besucher, der zuvor eine Weile gedankenversunken davor gesessen war, beschmiert. Der 26-jährige, der sich nun offiziell wegen Sachbeschädigung verantworten muss, sah das freilich ganz anders: Er sei Künstler und habe das Bild "signiert", erklärte der Pole, der unter dem Namen Vladimir Umanets auftritt. Mit seiner Beschriftung wollte er eine Kunstbewegung namens "Yellowism" promoten.

Shitstorm

Nicht nur auf der Website www.thisisyellowism.com hagelt es Beschimpfungen  - auch die deutsche Künstlerin und Designerin Mey Lean Kronemann musste einen ordentlichen "Shitstorm" aushalten, als ihr Projekt "Lovepicking" im Netz die Runde machte: Die Künstlerin und einige Mitstreiter knackten dabei Schlösser, die Liebespaare als sichtbaren Treueschwur auf Brücken angebracht hatten, und arrangierten sie in veränderter Form neu. Sie wolle zeigen, dass "Herzen geöffnet werden können, ohne gebrochen zu werden", antwortete Kronemann einem Polizisten, der sie bei einer Aktion zur Rede stellte. Nicht alle stellte diese Erklärung zufrieden. Beide Aktionen sind ein Angriff auf Werte, die per Konsens festgestellt wurden - im Fall des Rothko-Gemäldes drückt sich dieser Wert auch noch in einem saftigen Geldbetrag aus, im Fall der "Liebesschlösser" wird  die Übereinkunft in erster Linie von den Liebenden, in zweiter Linie von all denen mitgetragen, die den Brauch schön finden. Am Konsens zu kratzen und etablierte Werte zu untergraben, ist freilich eine klassische Aufgabe der Kunst. Die Grenze zum Kunstvandalismus wird dort überschritten, wo die symbolische Attacke eine handfeste Sachbeschädigung mit einschließt.

Historische Vorläufer

Symbolische Attacke mit Sachschaden

 Wie brutal also kann, wie brutal darf die symbolische Auflehnung sein? Als der Künstler Robert Rauschenberg 1953 eine Zeichnung seines (berühmteren) Kollegen Willem DeKooning erstand, sie ausradierte und als eigenes Werk verkaufte, war die Empörung groß - dennoch gehört Rauschenberg heute fix zu den Großen der US-Nachkriegskunst. Als der Hitzkopf Tony Shafrazi 1973 Picassos epochales Antikriegsbild "Guernica"  mit roter Farbe besprühte, war das Verständnis schon weniger groß: Laut eigenen Angaben wollte Shafrazi dem Bild vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs seine Dringlichkeit wiedergeben.

Shafrazi konnte sich später als Galerist etablieren und mit den Kunst-Popstars Keith Haring und Jean-Michel Basquiat eine goldene Nase verdienen. 2003 schließlich wudren die "Bösen Buben" der Britischen Kunstszene, Jake und Dinos Chapman, einmal mehr ihrem Ruf gerecht, als sie eine Serie seltener Radierungen von Francisco de Goyas "Schrecken des Krieges" kauften - und mit Clownnasen übermalten.

Außerhalb des Systems

Symbolische Attacke mit Sachschaden

All diese Tabubrecher blieben aber innerhalb der Koordinaten des Kunstsystems und wussten genau, welche Hebel sie für die gewünschte Empörung in Bewegung setzen mussten. Mit Ausnahme von Shafrazi wählten sie auch keine riesigen Ziele aus. Der Rothko-Signierer  Vladimir Umanets, ebenso wie seine "Yellowism"-Bewegung ein absoluter Nobody im Kunstbetrieb, torpediert das System aber von außerhalb.

Die oft undurchschaubaren Prozesse, mit denen das Kunstsystem "Qualität" und "Wert" definiert, können freilich  Frust bis hin zur Aggression auslösen. Wenn Umanets aber tatsächlich denkt, mit dem selbsterfundenen Stilbegriff "Yellowism" an die Tür klopfen und gewaltsam Einlass erzwingen zu können, zeugt das aber von gehöriger Naivität und macht seine Attacke um nichts besser als dieVandalenakte eines "Pornojägers" Martin Humer, der u.a. ein Muehl-Gemälde in Wien bekleckste oder eine Lüpertz-Skulptur in Salzburg "teerte und federte".

Die Liebesschlösser-Aktion der Mey Lean Kronemann ist insofern harmlos, als die Schlösser nicht beschädigt, sondern nur neu arrangiert werden. Kronemann fühlt sich einerseits dem Kunstsystem, andererseits der Hacking-Kultur zugehörig und glaubt, dass dieses Referenzsystem sie ermächtigt, mit den Schlössern frei zu hantieren. Allerdings macht es einen Unterschied, ob man Alltagsgegenstände mit Zustimmung der Eigentümer in einen definierten Kunst-Raum bringt, um symbolisch an ihnen herumzuschrauben (was in der Kunstwelt ständig geschieht), oder ob man gegen den Willen anderer im Territorium des Alltags "interveniert". Das Knacken von Schlössern, an denen eine Liebesgeschichte hängt, ist  keine unbedeutende Grenzüberschreitung. Aber im Vergleich zur dumpfen Beschriftung unersetzbarer Meisterwerke hat es fast noch Charme.

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