Von der uralten Sehnsucht nach Erlösung

Moses’ Mutter in der MRT-Röhre: Visionäres Bild für die Erlösung?
Kritik: Verstörende Bilderflut in Romeo Castelluccis "Go down, Moses" im Theater an der Wien.

Eine junge Frau gebiert in einer minutenlagen, blutigen Szene ein Kind auf einer öffentlichen Toilette. In der nächsten Sequenz sieht man einen zur Hälfte geöffneten Müllcontainer. Ein Plastiksack bewegt sich, man hört das Schreien eines Babys.

Die Kindesweglegung ist das einzige Handlungselement, welches "Go down, Moses" direkt mit der biblischen Mosesgeschichte verbindet. Bildermagier Romeo Castellucci, der im Vorjahr den Festwochen mit seiner Deutung der Gluck-Oper "Orfeo ed Euridice" einen Höhepunkt bescherte, ist nun mit dieser Theaterproduktion seiner Socìetas Raffaello Sanzio im Theater an der Wien zu Gast (bis 30. 5.).

Wieder zeigt Castellucci bildmächtiges Theater, setzt mit seinem Hyperrealismus verstörende Effekte. Gesprochen wird nur in einer Verhörszene, in der ein Commissario den Verbleib des ausgesetzten Kindes in Erfahrung bringen möchte. In verwirrenden Satzfetzen nimmt die Mutter Bezug auf das alttestamentarische Geschehen.

Castellucci verlegt aber nicht etwa den Auszug aus Ägypten in die Gegenwart, er scheint Bezüge zur Bibel bewusst zu verschleiern. Alles spielt hinter einem durchsichtigen Gaze-Vorhang, was der sparsam ausgeleuchteten Bühne eine flächige, filmische Optik verleiht. Man denkt an Geyrhalters tableauartige Dokus oder an das Kubrick-Epos "2001".

Rätselhaft

"Ich setze Bilder ein, um sie zu überwinden, um zu jenem unsichtbaren Bild zu führen, das mich interessiert", sagte Castellucci in einem NZZ-Interview. Eines dieser rätselhaften Bilder liefert hier der Einsatz einer Walze, die unter ohrenbetäubendem Motorenlärm in rasende Drehung versetzt wird. Herabgelassene Langhaarperücken werden von ihr aufgesogen.

Möchte man eine Klammer finden, dann ist es die Suche nach Bildern, aber auch die Flucht vor deren Übermacht – als eine Art Exodus.

Zu Beginn versammelt sich eine kunstsinnige Gruppe um ein Abbild des Dürer-Hasen. Die unglückliche Mutter wird später in eine Magnetresonanz-Röhre geschoben. Das hochtechnische, bildgebende medizinische Gerät scheint plötzlich zum Wurmloch in prähistorische Zeiten zu werden. Erstaunt findet man sich in einer Höhle wieder, in der eine Urmutter in Hilflosigkeit den Tod ihres Babys erkennt, danach wird kopuliert. Einer der Höhlenmenschen drischt verzweifelt an die vierte Bühnenwand und malt dem Publikum ein "SOS" vor die Nase. Erlösung als uralte Sehnsucht.

Man spendet zögerlich Applaus. Es braucht Zeit, bis man nach dieser faszinierenden, von sphärischen, wummernden und dröhnenden Klängen begleiteten MRT-Behandlung zu so etwas wie einem Befund kommt.

( Peter Temel)

KURIER-Wertung:

INFOS: www.festwochen.at

Von der uralten Sehnsucht nach Erlösung
Die Schauspieler agieren hinter einem durchsichtigen Gaze-Vorhang
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