"Galeb" : Being Anton Tschechow: Ich spiele Leben

Die MöweSchauspielerin Nina (Jadranka Dokić, li.) ist lasziver Hase statt Möwe.
Kritik. Bobo Jelčić zeigt im Theater Akzent "Galeb" frei nach Tschechows "Möwe" – sehenswert.

Die Schlüsselfrage fällt nach einer guten halben Stunde: Geht es hier um "neue künstlerische Formen", oder ist das "einfach schlechtes Theater"?

Bobo Jelčić betreibt "fishing for compliments". Denn die Antwort ist eindeutig: Was der Zagreber Regisseur und seine großartige Truppe mit ihrem Stück "Galeb" aus Tschechows "Die Möwe" machen, ist wunderbares, zeitgemäßes, rasantes Theater, das immer wieder die eigene Daseinsberechtigung zur Diskussion stellt. Ohne jedoch die Vorlage ihres Geistes zu berauben. Denn schon Tschechow stellte in seinem 1895 uraufgeführten (und durchgefallenen) Drama die Fragen: Was ist Theater? Was ist Leben?

Schauspieler spielen Schauspieler, die Schauspieler spielen: Klingt nach "Being John Malkovich" – besser: "Being Anton Tschechow".

Hier geht es um einen jungen Mann, Konstantin Gavrilovič Treplev, genannt Kostja, Sohn der Schauspielerin Irina Nikolayevna Arkadina. Er möchte Dramatiker werden, sein erstes Stück fällt durch, als er es seiner Familie zeigt. Die Hauptrolle spielt seine Geliebte Nina, eine herzzerreißend schlechte Schauspielerin (wunderbar dargestellt von Jadranka Dokić). Sie verlässt ihn für den älteren, erfolgreichen Dramatiker Trigorin, der noch dazu der Freund von Kostjas Mutter ist. Kostja wird sich am Ende erschießen, bei Jelčić gleich mit zwei Pistolen – und nicht ohne vorher unter einer Leiter durchgegangen zu sein. Außerdem muss eine (Plastik-)Möwe dran glauben. Jelčić übertreibt gerne.

Ein Kunstgriff

Die verschwimmende Grenze zwischen Theater und Leben wird mit einem einfachen Kunstgriff verdeutlicht: Das Licht geht erst bei Minute 50 aus (das Stück dauert knapp 90 Minuten), die Zuschauer müssen mitspielen. Auf der Bühne tragen Arbeiter Möbelstücke herum – die drei bemitleidenswerte Herren aus der ersten Reihe später zurechtrücken müssen. Im Publikum wird lange geredet, man schaut sich um und fragt sich, was hier zum Stück gehört und was nicht.

Währenddessen zieht Mascha (Katarina Bistrović-Darvaš) auf der Bühne ein prächtiges Schnoferl, was auch Kostja (Krešimir Mikić), vergeblich von ihr angehimmelt, wunderbar beherrscht: Klamauk oder Dauerdepression? Klar ist das komisch – aber eigentlich haben die meisten hier allen Grund, tatsächlich tieftraurig zu sein. Spielen sie Theater oder, frei nach Hansi Lang, spielen sie Leben?

Tschechow nannte sein Stück "Komödie". Das war natürlich ironisch gemeint: Es ist in Wahrheit wahnsinnig traurig. Man kann darüber streiten, ob Jelčić das genügend verdeutlicht. Sein Tschechow-Abend bietet viel zu lachen und wirft schnelle, flackernde Lichter auf einen Haufen tragischer Gestalten.

Bis 2. Juni. Kroatisch mit deutschen Übertiteln.

KURIER-Wertung:

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