Für den "Tanz der Finsternis" muss man nicht alles verstehen

APARSC14 - 11102008 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA TEXT II -Bundespraesident Thomas Klestil (M.), Vizekanzler Wolfgang Schuessel und FPOE-Parteiobmann Joerg Haidera, 3. Februar 2000 in der Praesidentschaftskanzlei in Wien. Schuessel und Haider unterzeichneten die Praeambel für ein schwarz-blaues Koalitionsprogramm. Joerg Haider starb in der Nacht auf Samstag, 11. Oktober 2008, bei einem Verkehrsunfall in Kaernten. APA-Photo: Harald Schneider
"Regeln des Tanzes": Es ist Zeit, die Schwellenangst zu überwinden und mit ihm zu meditieren.

Dass Österreich von zwei „bösartigen Gnomen wie aus einem schlechten Märchen“ regiert wurde, ist selbstverständlich reine Fiktion.

Eine Studentin denkt sich das im Wien des Jahres 2000 und geht demonstrieren. Jeden Donnerstag.

Der Schriftsteller Thomas Stangl – sonst eher einer, der sich bei Problemen „verkapselt“ – war damals ebenfalls demonstrieren. „Sonst hätte ich mich einfach in meiner Haut nicht mehr wohlgefühlt.“

Euphorie

Für den "Tanz der Finsternis" muss man nicht alles verstehen
"Live aus Klagenfurt: 31. Tage der deutschsprachigen Literatur" - Ingeborg-Bachmann-Preis 2007. Im Bild: Thomas Stangl: Von 27. Juni bis 1. Juli gehen in Klagenfurt die 31. Tage der deutschsprachigen Literatur über die Bühne. 18 AutorInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz lesen aus unveröffentlichten Texten, bevor die neun Wettbewerbsjuroren am 1. Juli zum 31. Mal über die Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises entscheiden. Die Lesungen und Diskussionen werden wieder live auf 3sat übertragen: Donnerstag, dem 28. Juni, und Freitag, dem 29. Juni, von 8.55 bis 13.00 Uhr und 15.00 bis 18.00 Uhr; Samstag, dem 30. Juni, von 8.55 bis 13.00 Uhr und die Preisverleihung am Sonntag, dem 1. Juli, ab 11.00 Uhr. SENDUNG: 3Sat, Do, 28.06.2007, 15:00 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung des ORF bei Urhebernennung. Foto:ORF/Johannes Puch. Andere Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der Abteilung ORF/GOEK-Photographie. Copyright:ORF-PHOTOGRAPHIE, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-14383.
Ein Ausnahmezustand sei das gewesen.

Ein Moment, in dem die politische Normalität durchbrochen gewesen sei „und alles unsicher schien. Die unmöglichsten Dinge schienen möglich. Einerseits gab es die größten Befürchtungen fürs Land, andererseits hatten die Demonstrationen auch etwas Wunderbares und eine merkwürdige Euphorie in sich.“

Dass sein Roman „Regeln des Tanzes“ so drastisch mit Schüssel und Haider beginnt, passt gar nicht zum Rest: Ruhigen Schrittes wird durch Wien gegangen und die Kunst, der Tanz, zum Widerstand.

Aber es ist kein Fehler, auf diese Weise Leser in die meditative Literatur des 47-Jährigen zu holen, die von Kritikerlob seit Jahren überhäuft wird – „nur“ die Buchkäufer überwinden selten ihre Schwellenangst.

Und versäumen dadurch, wie schön es ist, zwar nicht alles zu verstehen, jedoch viel, viel mehr zu sehen als vorher.

Stangls politische Poesie verfolgt zwei Schwestern, die gemeinsam wohnen – und auseinander gehen: Die eine geht auf die Straße, die andere geht in sich, tanzt als Protest Butoh – japanisches Tanztheater ohne Form: der Tanz der Finsternis, der sich von den Regeln der Gesellschaft verabschiedet und Vergangenes (vielleicht) auslöscht.

Thomas Stangl verwebt die Zeit bzw. löst sie auf:

Denn 15 Jahre später findet ein auf den Sechziger zusteuernder Mann, der wie Cary Grant aussieht, in einer Hausnische eine versteckte Filmdose. Er ist selbst in einer Ausnahmesituation, seine Frau hat ihn verlassen. Die Negative lässt er entwickeln, es sind Fotos der Schwestern aus 2000. Und von einem Grabstein.

Er sucht.

Und tanzt allmählich selbst aus der Reihe.

Was macht man mit einem solchen Roman? Staunen. Daran wachsen. Und ihn umarmen.

Für den "Tanz der Finsternis" muss man nicht alles verstehen
cover
KURIER: Sie sind sehr genau. Wäscht sich jemand die Haare, so sind sie in der Lage, diesen Vorgang auf zwei, drei Seiten zu beschreiben. Warum ist Ihnen das derart wichtig?
Thomas Stangl:
Es ist mir wirklich wichtig. Ich finde, auch als Leser (oder Filmzuschauer), die pure Geschichte eher langweilig.

Was ist interessanter?
... was daneben, was dazwischen und auf der Seite ist. Das ist so etwas wie ein „Mehr“, das nicht unbedingt einzuordnen und dessen Bedeutung für die Handlung nicht von vornherein klar ist. Das so etwas wie einen physischen, körperlichen Moment bildet – ich möchte also so etwas wie eine dichte, körperliche (auch gedanklich reflektierte) Wirklichkeit erscheinen lassen. Gerade wenn es auch um Momente aus einer näheren und ferneren Vergangenheit geht. Eine neue, vielleicht „wirklichere“ Wirklichkeit ...

KURIER-Wertung: ***** von *****

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