Zunächst einmal war das eine sehr gute Möglichkeit, einander wieder besser kennenzulernen. Es ist aber auch bei so einem Repertoire-Fixpunkt sehr wichtig, alle fünf bis zehn Jahre ein paar Dinge zu polieren und sich neue Fragen zu stellen; ein solcher Austausch ist gleichermaßen notwendig und unglaublich beglückend. Ein Meisterwerk bleibt nicht gleich, sondern es stellt in jeder Zeit neue Fragen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Dass dieser Beginn der gemeinsamen Reise mit diesem Stück nun gleich im Fernsehen kommt, war natürlich nie geplant.
Ihr Einstand an der Staatsoper mit der „Butterfly“ war Ihre erste Vorstellung nach dem Lockdown. Sie geriet zum Triumph. Wird es diese auch im Jänner geben?
Die zweite „Butterfly“-Serie muss wohl leider nach dem heutigen Stand der Dinge entfallen, was ich natürlich auch sehr bedauere, weil auch hier die weitere Entwicklung der begonnenen Arbeit wichtig gewesen wäre. Aber von den Produktionen in der zweiten Jänner-Hälfte sollten so viele wie möglich gerettet werden. Sehr wichtig ist mir da besonders der „Figaro“, weil es den Startpunkt an unserem „Mozart“-Projekt markiert, das sich über die ganze Zeit unserer Direktion ziehen soll. Mozarts Werke müssen an diesem Haus ganz besonders gepflegt werden. Natürlich kann man sie immer irgendwie spielen, aber es gibt keine klare Richtung mehr. Die letzten Jahrzehnte haben gleichermaßen viele neue Erkenntnisse und Einsichten, aber gleichzeitig auch eine gewisse Orientierungslosigkeit gebracht. Es ist wichtig, wieder einen einheitlicheren Stil zu entwickeln, und davor darf sich ein Musikdirektor der Wiener Staatsoper nicht drücken, sondern es als wesentliche Herausforderung nehmen. Dafür braucht man aber ein Ensemble, das harmoniert, nicht nur für diesen „Figaro“, der auch wiederum nur der Beginn eines gemeinsamen Weges ist, sondern für die nächsten Jahre.
Ein echtes Mozart-Ensemble wie vor Jahrzehnten?
Ein Mozart Ensemble für heute, für das 21. Jahrhundert. Das legendäre Wiener Mozart Ensemble der 40er und 50er Jahre entstand auch in den damaligen Zeitumständen. Heute müssen wir anders denken – aber was gleich bleibt, ist, dass man dafür eine Gruppe von 15 bis 20 Sängern braucht, die bereit sind, an einem Strang zu ziehen, und einen einheitlichen Stil zu entwickeln, den wir auch mit dem Orchester und dem Chor mitvollziehen können. Dieses Mozart-Ensemble, das sich sowohl aus Sängern des hauseigenen Ensembles wie aus stets wiederkehrenden Gästen zusammensetzen soll, muss ein Zentrum unserer Arbeit sein, und daraus können natürlich auch mit der Zeit Sänger für andere Partien erwachsen.
Ihr jüngst erschienenes Buch trägt den Titel „Der Klang der Stille“. Nicht nur einmal sagten Sie, dass große Musik aus der Stille kommt. Wie sehen Sie das jetzt in der Stille des Lockdowns?
Das ist erzwungene Stille und die war zunächst ein Schock. Ich wollte zwei Wochen niemanden sprechen. Aber den ersten sogenannten Lockdown hat man noch mitvollziehen können, weil man ihn für notwendig hielt. Beim zweiten und dritten ist vieles schon schwerer zu verstehen, unter anderem, dass die Läden zeitweilig alle offen sind und die Theater, die wirklich alle Vorgaben berücksichtigt haben und wo es nachweislich keine Ansteckungen im Publikum gab, geschlossen wurden. Deshalb fühlen wir uns auch im Stich gelassen. Man erkennt nicht, dass die Kultur, die einen wesentlichen Stellenwert in diesem Land hat, nicht nur für „Kulturverliebte“ da ist, sondern auch ein Faktor für die gesamte Gesellschaft und last but not least für die Wirtschaft. Man spricht immer von Grundbedürfnissen, aber die Seelennahrung wird vernachlässigt. Ich will aber nicht viel für mich klagen, denn ich hatte in den vergangenen Monaten zu tun. Aber ich denke an die vielen freien Künstler, die sich von Projekt zu Projekt hangeln. Manche überlegen schon, den Beruf zu wechseln. Das ist das wirklich Bedrückende.
Haben Sie Verständnis für die Gegner der Maßnahmen?
Man muss hier sehr deutlich unterscheiden. Ich bin bereit, jeden mit seinen Ängsten ernst zu nehmen: manche haben Angst vor der Pandemie, andere vor einer Impfung, andere, dass die Maßnahmen unsere demokratischen Grundverständnisse unterminieren usw. – egal, ob begründet oder unbegründet: Angst ist etwas Irrationales, und damit ist und bleibt es ein schwieriges Thema. Aber was ich inakzeptabel finde, sind jene, die sich die ehrlichen Ängste nur zunutze machen wollen, um die hart erkämpften demokratischen Strukturen und unsere offene Lebensform zu unterminieren und denen im Grunde jedes Mittel recht wäre, ihre fragwürdigen Ziele zu erreichen. Wohin das führt, haben wir in Europa nicht nur vor 85 Jahren erlebt, sondern wir können es in einzelnen Staaten heute schon wieder studieren. Allerdings: Ein offener Diskurs muss und soll jedoch auch immer erlaubt sein. Es kann unter Umständen sogar sein, dass wir einmal sagen werden, dass in unserer Zeit, in dieser Welt, die so laut und schnell geworden ist, diese Vollbremsung nicht nur schlecht war. Wenn ich 2020 einen Namen geben müsste, würde ich es das Jahr des Resets nennen. Ich hoffe aber gleichzeitig, dass es auch damit bei 2020 bleibt.
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