Gegrilltes Fleisch kann er nicht mehr essen

Sabine Gruber
Sabine Gruber über einen alt gewordenen Kriegsfotografen auf der schlimmsten Reise: in seine Vergangenheit.

Das geht nicht miteinander.

Sie würde gern träumen manchmal. Er aber ist ein Traumvernichter.

Bruno ist Kriegsfotograf. Er kann ja nicht einmal auf eine Grillparty gehen, weil er brennendes Menschenfleisch in der Nase hat.

Und wenn er einen Hund sieht: Wie kann er ihn lieb haben, wenn er gesehen hat, wie Hunde das Gesicht liegen gebliebener Toten fressen?

Sie, das ist Marlis, seine Lebensgefährtin.

Soll sie Ruhe geben und froh sein, dass Bruno es nicht so gemacht hat wie ein Journalistenkollege?

Beleuchtetes Fenster

Da krachte in der friedlichen Heimat ein harmloser Böller, und der Kollege hat seine Ehefrau gegen die Wand gedrückt, damit sie in Sicherheit ist sozusagen. Dabei brach er ihr ein Bein. Er glaubte für einen Moment, im Kriegsgebiet zu sein ...

Marlis wartet nicht ab. Sie zieht aus. Sie zieht zu einem (faden?) Lehrer ...

Es fehlt etwas, wenn’s jahrelang kein Buch von Sabine Gruber gibt. Ihre Stimme fehlt.

Der Reichtum an Fakten fehlt, in den die gebürtige Südtirolerin erfundene – demnach echte – Menschen setzt. Und viel Liebe legt sie in "Daldossi oder Das Leben des Augenblicks" darüber.

Die Liebe ist "wie ein beleuchtetes Fenster in dunkler Nacht". Manchmal bleibt das Licht ausgeschaltet.

Sabine Gruber war mit Stern-Reporter Gabriel Grüner befreundet. Er berichtete aus Krisenregionen – und er wollte die Welt retten.

35 war er, als er, der Fotograf und der Übersetzer, NACH Ende des Kosovokrieges von einem Soldaten der serbischen Armee erschossen wurden.

Die Romanfigur Bruno Daldossi ist kein Gabriel Grüner. Daldossi muss erst lernen ... "aber wer weiß, was aus Grüner geworden wäre, wenn er nicht so früh gestorben wäre?", fragt Sabine Gruber im KURIER-Gespräch.

"Ich mag Figuren. die nicht nur eine Seite haben. Das ist man ja auch der erzählerischen Gerechtigkeit schuldig."

Hinten ein Geier

Der zweifelnde Bruno Daldossi mit dem weiß gewordenen Haar reist der Liebe nach. Und reist in sich – dazu gehört das Sterben im Mittelmeer, das Sterben in Bagdad, Kabul, Vietnam ...

Dazu gehört die Leere, wenn man ein verhungerndes Mädchen fotografiert – hinter dem ein Geier sitzt.

Oder nein, es muss nicht die Leere sein: Kevin Carter, von dem das berühmtes Foto aus dem Sudan stammt, hat sich umgebracht ("Der Schmerz des Lebens übersteigt die Freude ...").

Kein überflüssiges Wort steht bei Sabine Gruber, wenn es darum geht, wie nah man dem Leid kommen kann / will / soll / darf.

Auch sie macht Bilder, weil wir uns in Bildern erinnern. Der Bub, der mit einem roten Plastikauto spielt, und zwar in jenem Bombenkrater, wo seine Eltern zerfetzt wurden, bleibt auch dann in Erinnerung, wenn man "nur" von ihm erzählt.

Wenn SIE erzählt.

Sabine Gruber:
Daldossi oder
Das Leben des Augenblicks“
C.H. Beck.
315 Seiten.
22,60 Euro.

KURIER-Wertung: *****

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