Wo Vera Russwurm gleich neben Sokrates steht

"Es dauert elend lang, bis ich zum Schreiben Platz nehme": Franz Schuh, 67
Im neuen philosophischen Spiel mit seiner Biografie ist für viele Platz.

Ein solches wunderbares Durcheinander bringt man nur zusammen, wenn man sehr diszipliniert ist und Franz Schuh heißt.

"Ich bin nur undiszipliniert, wenn es um den äußeren Zwang geht. Ich auferlege mir keinen solchen. Ich muss kein Buch geschrieben haben", sagt der Wiener Schriftsteller/Philosoph/schwer unterbezahlte Denker usw. im KURIER-Gespräch.

"Andererseits habe ich auch keine Schreibhemmungen – es dauert nur elend lang, bis ich zum Schreiben Platz nehme, aber dann! In der Unmittelbarkeit des Schreibens bin ich sehr diszipliniert, folge strikt der Sache – auch ihrem Durcheinander – und meinem Eigenwillen. Ich habe also das arrogante Gefühl, dass Freiheit und Disziplin einander beim Schreiben wechselseitig aufheben, ein Glücksgefühl."

"Sämtliche Leidenschaften" heißt das feinst komponierte Chaos, das am Montag erscheint und in dem jemand, der nicht zufällig Franz Schuh heißt, einen Monolog hält.

Ein Moment Welt

Man ist sogar live dabei, wenn er Gedanken formt, und dann hat man Vera Russwurm, die "Domina der Belanglosigkeit", neben Sokrates stehen.

Dann spaziert "Der Förster im Silberwald" zu Brillenputztüchern und zu Gedanken über Liebe und Tod, über Peter Kraus ... Zwischenstopp bei der Frage, warum er, Schuh, so dick ist.

Wo Vera Russwurm gleich neben Sokrates steht
Buchseite

Die Freunde seiner Selbstporträts werden immer mehr. So wird die momentane Welt besser eingefangen als in einem Riesenroman, auf dessen Umschlag "Roman" steht. (Selbstverständlich ist "Sämtliche Leidenschaften" ein Roman, aber das braucht ja nicht jeder zu wissen.)

Vorsicht! Es muss nicht alles wahr sein, was Franz Schuh schreibt. Es muss nämlich schon auch klingen, damit so ein Sprach- und Hirnkunstwerk entstehen kann.

Die Geschichte, die wohl am längsten haften bleibt, handelt von der verehrten Wiener Schauspielerin Susi Nicoletti ( 2005), mit der Schuh in der Roten Bar des Hotels Sacher saß. Er philosophierte über Doppelmoral. Schuh äußerte sein Verständnis, denn ein Leben allein sei nicht ausreichend, deshalb handle man sich die innere Zerrissenheit ein.

So legte er Susi Nicoletti dar, und sie sagte: "Gehen S’ scheißen mit ihrer Doppelmoral."

Eine angenehme, ja entkrampfende Äußerung im noblen Sacher.

Aber (das erfährt man im Buch nicht) ... sie hat’s gar nicht gesagt. Susi Nicoletti hatte genug von Schuh. Das schon. Aber sie brachte es ein bissl indirekter zum Ausdruck.

Das ist das Spiel, aus dem manchmal Literatur wird.

KURIER-Wertung:

Kommentare