Große Oper, große Gesten

Große Oper, große Gesten
Erfolgreicher Auftakt der Münchner Opernfestspiele mit "Tosca" und "La Juive".

"Turandot" mit Nina Stemme und Johan Botha, "Der Rosenkavalier" mit Anja Harteros und Günther Groissböck, "La Traviata" mit Sonya Yoncheva und Rolando Villazón, "Maskenball" mit Piotr Beczala, "Meistersinger" mit Wolfgang Koch und Jonas Kaufmann – das sind nur Auszüge aus dem Programm der Opernfestspiele, die bis Ende Juli in München angesetzt sind. Zum ersten Mal steht Kirill Petrenko, Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, bei diesem Anlass am Pult, und zwar gleich bei vier Werken. Bisher war das aufgrund seiner "Ring"-Dirigate in Bayreuth nicht möglich gewesen.

Große Oper, große Gesten
Gleich zum Auftakt der Festspiele begeisterte er mit Puccinis "Tosca" so sehr, dass Opernexperten zugeben mussten, dieses Werk wahrscheinlich noch nie so gut gehört zu haben. Petrenkos Lesart ist völlig unsentimental, etwaiger Puccini-Zuckerguss ist weggefegt, bei ihm ist "Tosca" kalorienarm, aber enorm reichhaltig, dramaturgisch ausgefeilt, präzise in jedem Detail, hochdramatisch und gleichermaßen einfühlsam.

Traumbesetzung

Auch die Besetzung, die Intendant Nikolaus Bachler aufbieten kann, ist die denkbar beste: Anja Harteros als Tosca singt hochemotional, kultiviert und berührend; Jonas Kaufmann als Cavaradossi gestaltet jede Phrase traumhaft schön und fühlt sich neben Harteros offensichtlich wohler, als zuletzt in Wien neben Angela Gheorghiu – "E lucevan le stelle" muss er diesmal nicht wiederholen, weil Petrenko sofort weiterdirigiert; Bryn Terfel als Scarpia begeistert mit dämonischer Verführungskraft. Die alte Inszenierung von Luc Bondy bietet den Sängern immerhin Gelegenheit, lustvoll miteinander zu spielen.

Schon tags darauf gab es die erste Neuproduktion: Fromental Halevys "La Juive", nicht annährend so stringent und differenziert umgesetzt wie "Tosca". Die Inszenierung von Calixto Bieto setzt auf Reduktion, arbeitet das Thema der Religionskonflikte, der Gewalt, des Hasses und der Liebe durchaus heraus. Sie bedient sich jedoch einiger Klischees und deutet manches, etwa Pädophilie, an, ohne es wirklich zu begründen. Das Bühnenbild von Rebecca Ringst – zwölf metallische Stelen – erinnert an die "Ring"-Produktion von Robert Lepage an der MET, wird aber zu wenig in die Geschichte integriert.

Der Vorteil der kargen Inszenierung besteht immerhin darin, dass auch bei den Sängern der Fokus auf innere Konflikte gelegt wird. Was bis zur großen Éléazar-Arie "Rachel, quand du Seigneur" tadellos funktioniert. Bei dieser jedoch fällt Roberto Alagna zurück in alte Operngesten, hetzt durch die Arie, konzentriert sich auf Spitzentöne und Effekte, statt auf Gestaltung und steht am Ende mit erhobenen Armen da, als hätte er Frankreich zum EM-Titel geschossen. An Neil Shicoffs Interpretation des zentralen Moments dieser Grand opéra darf man da nicht denken.

Abgesehen davon liegt Alagnas Tenor die Partie des Éléazar sehr gut, seine Diktion ist ganz klar, der zweite Akt der Höhepunkt. Aleksandra Kurzak ist eine Rachel mit schönem Timbre und ausreichend Dramatik. Fabelhaft singt John Osborn die enorm hohe Partie des Léopold, Vera-Lotte Böcker ist eine attraktive Eudoxie, mit klarer Höhe, aber nicht allzu großer Stimme, Ain Anger ein famoser Kardinal Brogni.

Bertrand de Billy dirigiert mit großem Engagement und sensibel, versucht klarzumachen, warum "La Juive" solche Wirkung auf Verdi und Wagner hatte, einige Tempi sind gewöhnungsbedürftig. Die Fassung ist ähnlich jener in Wien, die jahrelang erfolgreich lief, also ohne Ouvertüre, ohne Ballette, ohne Chorwiederholungen.

Insgesamt ein packendes erstes Festspiel-Wochenende.

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