Burgtheater-Chef Kusej zu neuen Vorgaben: "Es geht fast gar nichts"
Die Theatersaison ist in Österreich Anfang März zu Ende gegangen. Am Freitag gab die Regierung Bedingungen bekannt, unter denen die Bühnen die nächste Saison vorbereiten können. Burgtheaterdirektor Martin Kusej lässt im APA-Interview kein gutes Haar an den Vorgaben: "An Theaterarbeit, wie ich sie verstehe, ist nicht zu denken." Unter diesen Auflagen zu arbeiten sei eigentlich "völlig plemplem!"
APA: Herr Kusej, hat die jüngste Pressekonferenz von Vizekanzler Kogler und Staatssekretärin Lunacek für das Burgtheater die erhoffte Planungssicherheit gebracht?
Martin Kusej: Nein. Ich verstehe, dass auch die Politik die weitere Entwicklung nicht vorhersehen kann. Und es ist klar, dass der Gesundheit anderes untergeordnet werden muss. Aber bei diesen Rahmenbedingungen für die Theaterarbeit von einem Ermöglichen zu sprechen, ist für mich unverständlich. Mich als Regisseur haben diese Verlautbarungen der Pressekonferenz erst einmal in ein richtiges Loch gerissen. Denn bei genauerem Betrachten heißt das: Es geht fast gar nichts! An Theaterarbeit, wie ich sie verstehe, ist nicht zu denken. Ich war in den letzten Tagen viel im Austausch mit Theaterkolleginnen und -kollegen, die das nicht anders sehen als ich. Mich haben auch verzweifelte und empörte Stimmen erreicht.
APA: Einzelproben bereits im Mai, größere Proben im Juni - gleichzeitig aber Gewährleistung von Sicherheitsabständen und 20 Quadratmetern Raum pro Mitwirkender: Lässt sich unter solchen Bedingungen ein Probenbetrieb aufnehmen?
Kusej: Wir können die Zeit nutzen, um Bauproben nachzuholen und mit Leseproben zu beginnen. Solche Proben sind in der ersten Probenphase sinnvoll - aber damit überbrücken wir im Burgtheater gerade mal ein, zwei Wochen. Ich möchte aber in erster Linie als Theatermacher und Künstler sagen, dass die Situation jenseits des "Machbaren" und irgendwie "Organisierbaren" für mich an die Substanz geht. Die Begegnung mit anderen Menschen ist in unserer Kunst essenziell. Sowohl in der gemeinsamen Erarbeitung, als auch in der Präsentation. In einem freien, kreativen Prozess kann es keine Limits geben - man schneidet an der Seele unseres Schaffens herum, wenn man auf der Bühne "Sicherheitsabstand" verordnet. Das ist für mich wirklich irritierend und frustrierend. Ich möchte keinesfalls jammern! Aber ich versuche mit meinem Hausverstand und meiner Erfahrung darauf hinzuweisen, dass man nicht alles einfach über Bord werfen kann, was verschiedene Berufe ausmacht.
APA: Falls derartige Bestimmungen auch für Herbst gelten sollen: Lassen sich damit kompatible Vorstellungen überhaupt denken? Wird sich eine Corona-Theaterästhetik herausbilden (müssen)? Oder lässt man es dann lieber gleich ganz?
Kusej: Ganz ehrlich: Um Theaterschaffen wieder zu ermöglichen, müssen nötige Auflagen mit dem Kern der Theaterarbeit kompatibel sein. Wenn das in der jetzigen Situation nicht verantwortbar ist, dann muss man das klar aussprechen. Und wenn das bedeutet, dass bis zum Jahreswechsel gar nichts geht, dann werden wir damit umgehen. Aktuell passen wir von Pressekonferenz zu Pressekonferenz unsere Proben- und Spielpläne auf neue Situationen an - im Falle eines großen Hauses wie dem Burgtheater sind das immer hunderte Künstler, deren Verfügbarkeit neu abgefragt werden muss. Und ja - genauso fast verzweifelt - denken wir darüber nach, wie im Herbst Inszenierungen mit den bestehenden Corona-Auflagen aussehen könnten. Das wäre ungewöhnlich und eine völlig andere Form von Theater. Und eigentlich ist es völlig plemplem! Aber wir haben einen Kulturauftrag, dem wir nachkommen wollen. Unter den aktuellen Auflagen, wird das allerdings schwierig, ohne die Substanz des Theaters anzugreifen.
APA: Und welche Restriktionen lassen sich auf Zuschauerseite denken? Ist etwa eine behördliche Beschränkung der Sitzplatzkapazitäten durchführbar, oder ist ein Spielbetrieb etwa im Kasino, im Vestibül oder im Akademietheater für nur noch halb so viele Zuschauer - etwa mit jeweils einem freien Platz dazwischen - nicht denkbar?
Kusej: Natürlich ist vieles denkbar - wenn es behördliche Vorgaben gibt, werden wir sie umsetzen.
APA: Wie lässt sich in der derzeitigen Situation ein Spielplan für 2020/21 erstellen? Kann man etwa darauf Rücksicht nehmen, dass gegen Anfang der Saison weniger personalintensive Stücke angesetzt werden?
Kusej: Die Planung für 2020/21 steht bereits, wir haben feste Verabredungen mit Künstlerinnen und Künstlern getroffen, uns über Stücke, Konzeptionen und Produktionszeiträume verständigt. Natürlich scheinen aus der jetzigen Perspektive die Chancen einer Realisierung für kleinere Besetzungen höher zu sein als für große Ensembleinszenierungen. Aber das ebenfalls nur, wenn Vorproben ab Mitte August unter anderen, sinnvollen Bedingungen stattfinden können. Und wir wollen uns doch auch nicht wirklich vorstellen, unsere geplanten Projekte alle durch Monologe ersetzen zu müssen!
APA: Last but not least: Kommt "Maria Stuart" wie vorgesehen, auch wenn die Salzburger Festspiele heuer abgesagt werden müssten?
Kusej: Aus allen meinen Ausführungen werden Sie unschwer herauslesen können, dass an diese Kooperation mit Salzburg unter den aktuellen Auflagen zu meinem größten Bedauern derzeit nicht zu denken ist. Alles Weitere wird die Zukunft weisen!
Kommentare