Breslau: Stadtgeister zwischen Ost und West

Polens viertgrößte Stadt Breslau (Wroclaw) ist mit San Sebastian Kulturhauptstadt Europas 2016.
Die Metropole Breslau ist – neben San Sebastián in Spanien – Europäische Kulturhauptstadt 2016.

Der Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour wird hier in die Saiten greifen, der polnische Jazzpianist Leszek Mozdzer in die Tasten hauen – das Konzert am spätgotischen Marktplatz im Juni wird einer der Höhepunkte von Breslau als Kulturhauptstadt Europas.

Nach Krakau trägt mit Breslau die zweite polnische Stadt den von der Europäischen Union verliehenen Titel. Wroclaw, wie die Stadt auf Polnisch heißt, blickt auf eine wechselvolle Geschichte mit deutschen, polnischen, böhmischen und ungarischen Herrschern zurück.

Aber zum Auftakt inszeniert der Brite Chris Baldwin am 17. Jänner zum "Erwachen" der Stadt vier große Umzüge – Symbol für vier Geister, die ihr Wesen ausmachen: Innovation, Wiederaufbau, Hochwasser und viele Bekenntnisse.

Letzteres kommt in Henry Purcells Barockmusikspiel "Die Feenkönigin" zur Wirkung, das im Sommer mit Alten, Kindern aus Heimen und Vertretern von Minderheiten unter der Regie von Michal Zarnecki aufgeführt wird. "Das ist keine Sozialtherapie", so die Regieassistentin und Produzentin Zofia Dowjat, "wir arbeiten mit professionellen Schauspielern zusammen und proben konsequent."

Unter den Darstellern sind orthodoxe Ukrainer – viele vor Kurzem vor dem Krieg geflohen – und ältere, meist evangelische deutsche Damen, die vor Kriegsende 1945 in der damals drittgrößten Stadt Deutschlands geboren wurden.

Sie dürfen ihre persönliche Geschichte erzählen und dabei improvisieren. Und "Improvisation" ist ein gutes Stichwort, weil in Polen eine Art Geisteshaltung. Nicht umsonst nennt sich eine der beliebtesten Breslauer Theatergruppen "Impokracja", bei der in der Kulturkneipe "Sanatorium" die Zuschauer mit Zetteln und Zurufen die Handlung steuern. Vor allem Anspielungen ans nationalkonservative Programm der neuen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sorgen für Gelächter.

Aufgrund der politischen Situation in Polen hat die Nürnberger Zeitung bereits eine geplante Leserreise nach Breslau abgesagt, so die liberale Gazeta Wyborcza, die befürchtet, dass weitere Besucher ausbleiben könnten.

Zuletzt gab es Ärger um eine Aufführung von Elfriede Jelineks "Der Tod und das Mädchen" im Teatr Polski wegen angeblich pornografischer Handlungen. Der neue Kulturminister Piotr Glinski versuchte im November vergeblich ein Verbot der Produktion durchzusetzen.

Breslau: Stadtgeister zwischen Ost und West
Breslau Theater

Starke rechte Szene

Und seit den Parlamentswahlen im Oktober agieren in der populistischen Partei "Kukiz15" auch zehn Mitglieder des nationalistischen Spektrums im Sejm – dies ermunterte die rechtsextreme Organisation "Nationalradikales Lager" (ONR) letztens, den Marktplatz für ihre fremdenfeindlichen Sprüche zu nutzen.

"Breslau ist eine sehr offene Stadt", sagt Manuela Plizga-Jonarska, zuständig für den interkulturellen Dialog in Breslau. Das habe auch Nachteile. "Wir haben vielleicht nicht so gut gelernt, gegenüber Hetze auch Stopp zu sagen." Doch wie kann man es den Rechtsextremen verwehren, die Festivitäten als Podium zu nutzen? Im Rathaus wird gerade nach Lösungen gesucht.

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