Alte Meister - Von Thomas Bernhard

Alte Meister - Von Thomas Bernhard
Thomas Bernhard ist wunderbar in seiner Wut, in seiner Verzweiflung. Sein nachtschwarzer Humor führt uns 700 Seiten durch Kultur, Philosophie und Menschenverachtung.

Jetzt also Thomas Bernhard. Dieser genial zynische Meister der Übertreibung darf in keinem Literaturkanon fehlen. Am toten Giganten komme keiner vorbei, schrieb etwa Elfriede Jelinek in ihrem Nachruf. Bernhard polarisiert bis heute – mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod: Auch wenn er, seine Bücher und seine Stücke schon lange nicht mehr Gegenstand erregter öffentlicher Diskussionen sind.

„Alte Meister“ steht hier stellvertretend für seine neun Romane, von denen jeder einzelne ein Lesevergnügen der besonderen, eben Bernhard’schen Art bietet: vom 1963 erschienenen Erstling „Frost“ bis zur großartigen „Auslöschung“ von 1986. „Alte Meister“ wurde ein Jahr zuvor veröffentlicht und spielt in Wien, genauer im Kunsthistorischen Museum, noch genauer im (in Wirklichkeit nicht existierenden) Bordone-Saal. Dort erscheint, manisch regelmäßig und „seit mehr als 30 Jahren jeden zweiten Tag“ der Musikkritiker Reger. Er betrachtet das Porträt des „Weißbärtigen Mannes“ von Jacopo Tintoretto und sucht „einen sogenannten gravierenden Fehler“. Denn „Vollkommenheit“ und „Meisterwerk“ sind für Reger nur Worthülsen und weder möglich noch wünschenswert. Im Bordone-Saal trifft er sich auch mit dem Ich-Erzähler des Buches, dem unter einem „Nichtveröffentlichungszwang“ leidenden Schriftsteller Atzbacher. Er ist es, der Regers herrlich zynische Monologe referiert – über die Lächerlichkeit von Kunst, über das Leben im Allgemeinen und in Österreich im Speziellen. Diese großartig wortreichen Beschimpfungen und Jammereien Regers machen den Großteil des mit „Komödie“ untertitelten Romans aus. Thomas Bernhard ist wunderbar in seiner Wut, in seiner Verzweiflung. Sein nachtschwarzer Humor führt uns 700 Seiten durch Kultur, Philosophie und Menschenverachtung, seine endlos negativen Wortkaskaden dreschen Zeile für Zeile auf die Leserinnen und Leser ein – und machen süchtig nach mehr.

Alte Meister - Von Thomas Bernhard
Ein Königreich für ein Bild!

Thomas Bernhard lebte von 1931 bis 1989 – so komplex und tragisch wie seine Figur des Musikwissenschaftlers Reger war auch der Autor selbst, eine schonungslos offene Persönlichkeit, die immer wieder anecken musste. Noch sein letztes Theaterstück, die 1988 uraufgeführte Tragikomödie „Heldenplatz“, löste eine Hetzkampagne aus. Und selbst im Tod sorgte dieser Ausnahme-Schriftsteller für Furore: Per Testament verfügte er, dass keines seiner Werke in Österreich gedruckt und aufgeführt werden dürfe.

„Alte Meister“ ist, wie alle Bücher Bernhards, nicht leicht zu lesen. Ohne Kapiteleinteilung, ohne jeden Absatz fügt sich Satz um Satz aneinander. Auf dieses Problem präsentiert der Roman aber auch gleich eine Lösung: Reger bezeichnet sich – großartig formuliert – nicht als Leser, sondern als „Umblätterer“, millionenfach habe er mehr umgeblättert als gelesen. Es sei besser „zwölf Zeilen eines Buches mit höchster Intensität zu lesen“, als das ganze Buch mit normalem Leseanspruch. So lässt sich gerade „Alte Meister“ wunderbar auf homöopathische Weise lesen, immer nur ein paar Zeilen, ein paar Seiten hier und da. Sie lohnen sich.

Im Herbst erschien bei Suhrkamp eine Ausgabe als „Graphic Novel“, gezeichnet von Nicolas Mahler: Eine Einstiegsdroge für den Roman, garniert mit Zitaten wie diesem: „Der Zustand der Bewunderung ist ein Zustand der Geistesschwäche sagte Reger gestern, in diesem Zustand der Geistesschwäche existieren fast alle. In diesem Zustand der Geistesschwäche kommen sie alle auch in das Kunsthistorische Museum herein, sagte er.“

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