"Ich bin stolz auf meinen Sohn"

Klemens Gruber: "Man braucht auch manchmal Glück, um im Rechtsstaat zu seinem Recht zu kommen."
Nach Freispruch für Schüler spricht der Vater über Krieger in Polizeiuniform und die engagierte Jugend.

Vergangene Woche wurde ein Wiener Schüler von der Anklage freigesprochen, bei der Demonstration gegen den WKR-Ball 2014 einen Polizisten mit einer Stange attackiert zu haben. Seine Festnahme war ein Irrtum – mit Folgen. Der damals 17-Jährige war von Polizisten "am Boden abgelegt" worden, an dem dabei erlittenen Knochenödem leidet er noch heute. Sein Verteidiger Ernst Schillhammer überlegt Schmerzensgeldklage. Der KURIER sprach mit dem Vater des Schülers, dem Professor für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien, Klemens Gruber.

KURIER: Wussten Sie, dass Ihr Sohn auf die Demo geht?

"Ich bin stolz auf meinen Sohn"
Klemens Gruber:Er hat mir gesagt, dass er mit Freunden hingeht. Es war seine erste Demo. Ich hatte viel Arbeit und habe mich nicht über die Gefährlichkeit informiert, sonst hätte ich gesagt: Sei vorsichtig. Dass er mit seinen Freunden geht, hat mir eine gewisse Sicherheit gegeben, die wissen schon, was sie tun. Ich wollte dann am Abend essen gehen und habe ihn angerufen, ob er auch kommt. Er sagte am Telefon: Papa, ich bin in Handschellen. Hinter dem Burgtheater. Ich bin von der Uni über den Ring. Er war übel zugerichtet, bleich, konnte sich kaum auf den Füßen halten, war unter Schock. Der Polizist, der ihn bewachte, brachte ihm einen Sessel aus dem Burgtheater. Es war kalt. Die Garderobefrauen im Vestibül sind Studentinnen von mir und wir durften hinein. Im Hintergrund hörte man die Stimmen der Schauspieler, es war gerade Aufführung.

Und was war draußen los?

Die Einsatzleiterin hat uns angebellt. Es gab mindestens zwei Arten von Polizisten. Die einen, die nicht dramatisiert haben, und die Krieger. Dann kam ein riesiger Bus, ein kleines Türl ging auf, drinnen Neonlicht, eine ungepolsterte Blechkiste, und so wurde er abtransportiert. Ich bin mit dem Taxi hinterher zur Rossauer Kaserne, musste aber warten. In einem Gasthaus daneben hat mir der Wirt eine Schinkensemmel für meinen Sohn mitgegegeben, Proviant fürs Gefängnis.

Durften Sie bei der Einvernahme dabei sein?

Ja, nach Mitternacht wurde ich vorgelassen. Auch dort war wieder good cop und bad cop, aber der gute hat sich durchgesetzt. Ich war von der Geistesgegenwart meines Sohnes überrascht. Er erzählte, dass auf dem Stephansplatz ein ehemaliger KZ-Häftling eine Rede gehalten hat und die jungen Leute zuhörten. Schlagartig änderte sich die Verhörsituation. "Ihr habt’s ja das Recht auf eine Demo", sagte der Bezirksinspektor. Der Vorwurf gegen meinen Sohn lautete, mit der Stange mehrmals auf die Hand des Polizisten geschlagen zu haben. Der Beamte soll nur gesagt haben: Aufhören. Wie man sich die Polizei vorstellt, die lässt sich hauen und sagt nur: Aufhören?! Er sagte, er habe niemandem etwas zu Leide getan. Wörtlich. Allerhand, dachte ich. Und er sagte, man hat ihn von hinten zu Fall gebracht. Dann durften wir heim, er konnte nicht richtig gehen, am nächsten Tag war er im Lorenz-Böhler-Krankenhaus und kam mit Krücken zurück. Eine langwierige Geschichte. Seither muss er täglich Schmerzmittel nehmen, kann keinen Sport mehr machen, kein Skifahren, er war begeisterter Skifahrer.

Hat sich das ausgezahlt?

Es verschwindet der Anlass hinter dieser Geschichte. Wie ist das möglich, dass dieser Ball 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wieder in der Hofburg stattfindet? Man kann verstehen, dass junge Leute dagegen demonstrieren, das Wort demonstrieren heißt ja hinweisen, bekannt machen, das ist staatsbürgerliche Pflicht.

Haben Sie auch demonstriert?

"Ich bin stolz auf meinen Sohn"
Interview mit Rechtsanwalt Ernst Schillhammer und Universitätsprofessor Klemens Gruber, dessen Sohn Kasimir Gruber beim WKR-Ball als Demonstrant festgenommen und nun freigesprochenen wurde. Wien, 19.02.2015
Meine erste Demo war 1975 als 20-Jähriger, gegen den spanischen Diktator Franco, der hat fünf politische Häftlinge garrottieren (mörderisches Folterwerkzeug, Anm.) lassen.

War Ihr Sohn unvorsichtig?

Der Großvater hat geschimpft: Warum habt’s ihm das erlaubt? Wir machen ihm keinen Vorwurf. Er war nicht dort, wo Gewalttätigkeiten waren. Hinter der Burg war es ja harmlos, das sagte sogar ein Polizist. Sie waren unfähig, den Richtigen zu erwischen, den mit der Stange, und haben sich jemanden geschnappt, der schon auf dem Heimweg war.

Wie haben Sie den Prozess erlebt?

Ich war zum ersten Mal bei Gericht. Das hat etwas theaterhaftes. Als Grillparzer 1837 in Paris und London war, ging er abends ins Theater und vormittags immer zu Gerichtsverhandlungen. Beim Prozess habe ich durch die jungen Leute ein dichtes Bild vom Geschehen bekommen. Diese jungen Leute sind die Zukunft Österreichs: Ernst, engagiert, erschrocken über die Dimension, die das angenommen hat, aber sie lassen sich dadurch nicht abschrecken. Heuer sind sie aber alle nicht zur Demo gegangen, zu gefährlich. Es traut sich ja niemand mehr auf die Straße. Ich wollte einer Kollegin aus New York die Ringstraße zeigen, da war eine Demo gegen Rechtsradikalismus, 150 junge, bunte, friedliche Leute, eingekesselt von 200 Polizisten als gepanzerte Krieger. Die Kollegin war entsetzt, in New York ist so was undenkbar. Aber wenn man bei uns eine eigene Meinung haben will, kriegt man gleich einen Polizisten beigestellt. Das ist eine Abwiegelungsstrategie. Was wir an der Uni lehren, das Selbstbewusstsein der Gesellschaft, wird im Alltagsleben gestrichen. Dabei kommt ein Leben im Futteral heraus, wie im Biedermeier.

Wie verarbeiten Sie jetzt daheim das, was Kasimir passiert ist?

Ich bin stolz auf meinen Sohn. Es war ein hartes Jahr, aber er hat viel gelernt. Den pustet nicht so schnell etwas um. Wir haben das Glück, dass wir einen Rechtsstaat haben, aber man braucht auch manchmal Glück, um im Rechtsstaat zu seinem Recht zu kommen.

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