Der Anblick von Bettlern ist zumutbar

Für die Behörden ist schon das Entgegenstrecken der Hände aufdringliches Betteln, die Landesverwaltungsgerichte sehen das allerdings anders.
Hände entgegenstrecken und um Almosen bitten rechtfertigt keine Geld- und Haftstrafen.

Ein 75-jähriger Bulgare ist der König der Bettler. Aber nur, was die von ihm gesammelten Strafen anbelangt. Rund 4000 Euro wegen "aufdringlicher Bettelei" hat die Wiener Polizei dem Mann, der daheim keine Pension bekommt und hier keine Arbeit findet, aufgebrummt. Die meisten Strafen wurden nach erfolgreichen Berufungen aber aufgehoben.

Die Landesverwaltungsgerichte unterscheiden sehr genau zwischen der erlaubten schlichten Bitte um Geld und der verbotenen "aggressiven Form des Bettelns". Nicht jede verbale Kontaktaufnahme mit Passanten ist demnach schon als aufdringliches Betteln zu werten.

96 Stunden Haft

Die jüngste Entscheidung kommt vom Landesverwaltungsgericht Vorarlberg und betrifft eine 25-jährige Rumänin. Sie sitzt oft in Feldkirch in der Tiefgarage am Marktplatz vor den Kassenautomaten, bittet Passanten um Geld und streckt ihnen dabei ihre Hände entgegen. Das reichte der Bezirkshauptmannschaft schon zur Verhängung von 200 Euro Strafe bzw. 96 Stunden Ersatzarrest im Fall der (naheliegenden) Uneinbringlichkeit. Die eingenommenen Spenden werden den ansonsten mittellosen Bettlern in solchen Fällen abgenommen und für verfallen erklärt.

Der Anblick von Bettlern ist zumutbar
anwalt
Der Polizeibeamte, der die Anzeige erstattet hatte, konnte als Zeuge jedoch über gar keine Belästigung der Kunden in der Parkgarage berichten. Die Bettlerin habe zwar durch das Entgegenstrecken der Hände "die räumliche Distanz verkürzt", was für die Angesprochenen unangenehm gewesen sei. Doch konnte er nicht beobachten, dass Leute zum etwas weiter entfernt stehenden Automaten ausgewichen seien.

"Ansprechen allein ist nicht aggressiv", sagt der Grazer Anwalt Ronald Frühwirth, der die Rumänin und viele andere Bettler vertritt: "Aber sobald ein Bettler den Mund aufmacht, wertet die Polizei das als aggressives Betteln. Sich zu artikulieren, ist zulässig." Nur wenn insistiert wird, wenn sich der Bettler nicht mit einem "Nein" zufrieden gibt, macht er sich strafbar.

Eine Bettlerin, die sich in Wien Passanten vor einer U-Bahnstation in den Weg gestellt und ihnen ihren Pappkartonbecher zum Einwerfen von Almosen vor die Nase gehalten hatte, wurde festgenommen. Auf dem Kommissariat musste sie sich nackt ausziehen und wurde durchsucht. Diese Maßnahme wurde vom Landesverwaltungsgericht Wien als unverhältnismäßig verurteilt, die aggressive Bettelei an sich aber als strafwürdig beurteilt.

In einem anderen Fall saß ein Bettler in Wien vor einer Geschäftspassage auf dem Boden und "erschwerte potenziellen Kunden das Vorbeigehen an den Auslagen" (Anzeige). Das reicht ebenso wenig für eine Strafe wie im Fall aus Feldkirch. Es gehe nicht darum, Passanten "den bloßen Anblick der Bettler als nicht zumutbare Belästigung zu ersparen", führen die Richter aus und hoben die Strafen auf. Aber auch die 96 Stunden Ersatzhaft für die Frau in der Tiefgarage hätten nicht halten können. "100 Euro Strafe sind ein Tag", sagt Ferdinand Koller von der Bettellobby. 200 Euro wären demnach zwei Tage oder 48 Stunden, "so schwer ist das ja nicht zu rechnen". Aber das sei "reine Schikane der Polizei. 300 Leute pro Jahr werden in Wien deshalb eingesperrt, ein völlig absurder Aufwand". Die Bettellobby in Wien hält seit Herbst 2013 ein Mal im Monat einen Abend für Rechtsberatung ab. Anwalt Frühwirth unterstützt Bettler dabei, ihre Strafen zu bekämpfen. Das hat die Flut an Anzeigen – bisher gab es laut Ferdinand Koller rund 2000 pro Jahr allein in Wien – etwas eingedämmt.

Mafia

Wenigstens jene Bettler, die Einsprüche machen und von den speziell angesetzten Bettlerstreifen erkannt werden, lasse man jetzt in Ruhe. "Weihnachten wird der große Test", sagt Koller: "Voriges Jahr wurde ja verbreitet, es sei eine Invasion der Bettlermafia zu erwarten."

Schon wenn Leute aus der selben Gegend stammen, glaubt die Polizei darin eine Organisation zu erkennen, sagt Anwalt Frühwirth. Dann wird auch bei nicht aggressivem Betteln wegen Gewerbsmäßigkeit gestraft. Für Frühwirth aber bedeutet organisiert, "wenn die Bettler das Geld abliefern müssen". Viele würden, wie der 75-Jährige aus Bulgarien, auf der Suche nach Arbeit nach Österreich kommen und erst dann, wenn sie erfolglos bleibt, betteln gehen. "Gewerbsmäßigkeit setzt Planung voraus: zwei Tage betteln, zwei Tage auf der faulen Haut liegen", sagt der Anwalt. Auf diesem Gebiet hat er mit den Behörden noch einige Sträuße auszufechten.

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