Tatortermittler: Tod als täglicher Begleiter

Wien-Ottakring, 1. Jänner 2014: Ein Täter zündete eine Granate und schoss auf die Opfer.
Sie stehen im Dauereinsatz und sehen extreme Szenarien. Motto: "Es gibt nichts, was es nicht gibt".

Bereits fünf Mal gab es heuer in Wien Mordalarm. Klare Tatortbilder waren dabei die Seltenheit. Dennoch gelten vier der fünf Bluttaten als geklärt. Der aktuellste Fall, der Erstickungstod des 25-jährigen amerikanischen Au-Pair-Mädchens in Wien-Wieden, gibt den Kriminalisten und den Wiener Tatortermittlern noch Rätsel auf.

"Dazu gibt es noch keine Informationen", erklärt Oberst Wolfgang Haupt, Leiter des zuständigen Assistenzdienstes am Samstag. Eine erste Spur führt zum ehemaligen Mitbewohner der am Dienstag verstorbenen US-Studentin. Haupt aber warnt und gibt Einblick in die Arbeit der Tatort-Spezialisten: "Wir haben eine Regel; das Offensichtlichste ist auch das Trügerischste."

Tatsache ist, dass die Aufklärungsrate bei Morden in Österreich beinahe jedes Jahr an der 100-Prozent-Marke kratzt. Doch welche Herausforderungen und Belastungen hinter Tatortarbeit stecken, wird in allen Krimiserien verschwiegen. "Streifenpolizisten sind in der Regel die Ersten am Tatort. Wenn die Kollegen nur mit einer Handbewegung zeigen, wo das Opfer ist, dann weiß ich, was auf mich zukommt. Ich gehe dann als Erster zum Tatort", so Haupt.

Tatortermittler: Tod als täglicher Begleiter
Besuch einer Tatortgruppe im Landeskriminalamt, Wien 30.01.2016.oberst haupt, chefinspektorin bogner
Seine Kollegin, Chefinspektorin Bettina Bogner, sie war die erste weibliche Tatortermittlerin Österreichs und ist die Leiterin der Wiener Tatortgruppen, wählt ein drastisches Beispiel: "Die Grenzen des Erträglichen sind manchmal subtil. Ich kam einmal zu einer Kindestötung in einem Wald. Der kleine Körper war in einem Plastiksackerl eingepackt. Das tote Kind hatte das Alter meiner Tochter."

Gezündete Handgranate

Ein Fall vom 11. Jänner 2014 ging in die Kriminalgeschichte ein. Ein Täter zündete in einem BMW in Wien-Ottakring eine Handgranate. Vorher schoss er seinem Opfer von der Rückbank aus in den Kopf. Auch der Beifahrer kam durch Granatsplitter ums Leben. Wegen der Zeitverzögerung im Zündmechanismus konnte der Mörder noch aus dem Pkw springen. Knapp drei Monate später wurden der Verdächtige und zwei Komplizen – dank Feinarbeit der Tatortermittler – festgenommen. Motiv: Mineralölhandel mit der Ostmafia. Parallel dazu werden die Spezialisten auch zu Einbrüchen, etwa bei Politikern, beordert. "Denn es könnte dabei auch terroristische Hintergründe geben. Es gibt in unserer Arbeit nichts, was es nicht gibt. der Druck wird dadurch nicht höher", so die Ermittler.

Tatortermittler: Tod als täglicher Begleiter
APA17783464 - 04042014 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 265 CI - Das undatierte Polizeibild zeigt den Innenraum jenes Pkw, in dem zwei Menschen durch die Explosion einer Handgranate bzw. den Gebrauch einer Schusswaffe am, 11. Jänner 2014, getötet wurden. Im Zusammenhang mit der Tat hat die Polizei am Donnerstag, 3. April 2014, drei Verdächtige festgenommen. +++ UM VERÖFFENTLICHUNG IM SINNE DER SICHERHEITSPOLIZEI UND STRAFRECHTSPFLEGE WIRD ERSUCHT +++ WIR WEISEN AUSDRÜCKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GRÜNDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEFÜHRTEN ZWECK ERFOLGEN DARF - VOLLSTÄNDIGE COPYRIGHTNENNUNG VERPFLICHTEND +++ APA-FOTO: POLIZEI

Wie aber gehen die Beamten mit solchen Eindrücken um? Wie hoch ist die Drop-out-Rate in dem Job? "Belastende Ereignisse gibt es bei jeden von uns. Gespräche mit erfahrenen Kollegen, Sitzungen mit dem psychologischen Dienst im Innenministerium und auch Supervision helfen dabei. Aber Aussteiger sind eher selten. Unser erklärtes Ziel, Verbrechen aufzuklären, treibt uns an", gibt Chefinspektorin Bogner möglichen Zweifeln keine Chance. Und Oberst Haupt ergänzt: "Wir müssen stur , beharrlich, genau und ausdauernd sein. Am wichtigsten aber ist die Kreativität." Und an Interessenten mangelt es nicht, Personalmangel ist kein Thema.

Einen der belastendsten Einsätze musste im August 2015 auf der A 4 bei Parndorf erledigt werden. Die Flüchtlingstragödie mit 71 Leichen ging den hartgesottenen Ermittlern nahe. Unter den Opfern waren Kinder und Frauen. Über diesen Fall wird nicht viel gesprochen, wichtig ist, dass die Schlepper hinter Schloss und Riegel sind.

Vielmehr hoffen die Spezialisten auf effizientere Ausrüstung. Bogner und Haupt unisono: "DNA-Beweise sind der Schlüssel zum Erfolg. Mobile DNA-Labors, wie in den USA sind wichtig. Umso schneller wir Spuren sichern, desto schneller können unsere Kollegen die Täter fassen."

Neben den – intensiven – Fällen im kriminellen Tagesgeschäft einer Großstadt werden die heimischen Tatort-Ermittler auch bei Großschaden-Ereignissen im In- und Ausland angefordert. Wobei so mancher Einsatz die Vorstellungskraft Nichteingeweihter bei Weitem übersteigt. Bettina Bogner gab im KURIER-Gespräch einige drastische Beispiele:

So erinnert sich die Oberösterreicherin an den Einsatz im Kosovo während des Jugoslawien-Krieges: „Die Amerikaner hatten den Tatort bereits abgelehnt. So kamen wir in ein Bergdorf in der Region Pristina. Dort wurde eine Zisterne, angefüllt mit Leichen, entdeckt. Das Areal war vermint, eine heikle Situation. Serbische Einheiten warfen 23 Männer lebend in den Schacht und schmissen Handgranaten nach. Trotz fortgeschrittener Verwesung konnten wir 20 Identitäten feststellen. Die Familien konnten somit Abschied nehmen. Drei Körper aber waren ineinander verschmolzen.“

Auch die Mission nach dem verheerenden Tsunami vom Dezember 2004 blieb in Erinnerung. In Thailand forderte die Flutwelle 85 österreichische Todesopfer, in Sri Lanka kam ein Österreicher zu Tode. Viele Angehörige reisten in die Unglücksorte. Schmerz, Trauer, Verzweiflung und Leid, aber auch die Rahmenbedingungen vor Ort erschwerten die Aufgabe der Identifizierung. Auch wegen der Hitze.

Die Brandkatastrophe in Kaprun vom November 2000 grub sich ins Langzeitgedächtnis. 155 Menschen verbrannten oder erstickten in der voll besetzten Seilbahngarnitur. Ein folgenschwerer Behördenfehler – Angehörige durften viel zu nahe an die aufgebahrten Leichen – sorgte für schreckliche Szenen noch während der forensischen Maßnahmen.

Und auch bei der Lawinen-Katastrophe in Galtür im Februar 1999 war die Chemikerin und jetzige Tatortgruppen-Chefin vor Ort: „So genau kann ich mich spontan nicht mehr erinnern. Aber ich glaube, es waren damals gar nicht so viele Opfer zu beklagen.“ Die gewaltige Lawine pflügte eine Schneise durch den Skiort und riss 31 Menschen aller Altersgruppen in den Tod. Jedes Opfer konnte identifiziert werden.

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