Sextäter: Nur 10,6 Prozent verurteilt

Jede achte angezeigte Körperverletzung, aber nur jede elfte Vergewaltigung wird geahndet.
Opferschützerin beklagt den bagatellisierenden Umgang und zögerliche Beweissicherung.

Jürgen H.* sprach von einvernehmlichem Sex, seine Ex-Freundin Carina P.* (*Namen geändert) von einer brutalen Vergewaltigung. Der Fall ist vielsagend dafür, wie die Justiz mit Sexualstraftaten umgeht – und geht weit darüber hinaus. Denn weder prüften die Ermittler das getrübte Vorleben H.’s, noch gab die Staatsanwaltschaft ein Gutachten zu den Verletzungen von P. in Auftrag.

Es war der Abend des 21. Mai 2012, als H. an die Tür seiner Ex klopfte. Wie so oft steht bei Sexualdelikten über den Verlauf des Abends Aussage gegen Aussage. Doch es gibt Fakten: H. sprang nach dem angeblich freiwilligen Sex (eine oft gehörte Verantwortung von Beschuldigten) aus dem Fenster und flüchtete, weil es P. gelungen war, ihn einzuschließen. Sie hatte einschlägige Verletzungen, und es existiert eine SMS an eine Bekannte mit dem Hilferuf "Ruf die Polizei!". Carina P. schilderte als Zeugin, wie sie der bullige Ex-Beamte "in den Würgegriff" genommen hatte. Die Staatsanwältin zog einen bemerkenswerten Schluss: Da es bei beiden früher "brutal" im Bett zugegangen sei, hätte H. nicht einschätzen können, ob P.s Gegenwehr "ernst gemeint war". Bemerkenswert ist auch, dass in H.’s Akt "unbescholten" steht, obwohl er vorbestraft ist. 2006 folterte er den Flüchtling Bakary J., nahm sich dann einen neuen Namen. Den alten fragte die Behörde im Strafregister nie ab. Fazit: Die Staatsanwältin stellte das Verfahren ein.

Die Hälfte wird eingestellt

Der Fall ist außerhalb der Norm. Doch Einstellungen gehören zur Tagesordnung, wie die Antwort einer parlamentarischen Anfrage (gestellt vom Grünen Albert Steinhauser) belegt. In der Justiz-Statistik scheinen für die Jahre 2009 bis 2013 in Summe 18.874 Sexualstrafdelikte (darunter Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung und Missbrauch von Unmündigen) auf – 52 Prozent wurden eingestellt. Aber auch beim Rest gelangte nur ein Bruchteil, etwa 10,6 Prozent, zu einer Verurteilung; die übrigen Verfahren wurden abgebrochen oder endeten mit Freisprüchen oder Schuldsprüchen wegen leichteren Delikten. Unterm Strich wird nur jeder elfte wegen einer Sexualstraftat Angezeigte verurteilt.

Dass sich das im Verlauf von fünf Jahren nicht geändert hat, bedeutet für Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, "dass die überwiegende Zahl von Sexualdelikten straffrei verübt werden kann." Der Hauptgrund dafür bestehe darin, dass die Ermittlungsbehörden zu spät forensische Gutachten in Auftrag geben. Wenn das Gericht das Versäumte nachhole, seien viele Spuren nicht mehr auswertbar. Opfer von Sexualdelikten würden laut Logar nicht genügend ernst genommen. Es bestehe eine große "Diskrepanz, wie ein Opfer das subjektiv erlebt hat und wie dann damit umgegangen wird, nämlich bagatellisierend."

Ein Stolperstein für die gerichtliche Aufarbeitung ist auch der Zeitpunkt der (auf Video aufgezeichneten) kontradiktorischen Einvernahme der Opfer. Sie werden zu Beginn des Verfahrens befragt und müssen dann (zu ihrem Schutz) nie wieder aussagen. Später tauchen neue Beweismittel oder Zeugenaussagen auf, mit denen man das Opfer nicht mehr konfrontieren kann. Ein im Wiener Landesgericht abgehaltener Runder Tisch mit Richtern, Staatsanwälten, Opferschützern hat dieses Problem aufgezeigt, wie Gerichtssprecherin Christina Salzborn berichtet. Nun versucht man, Opfer später ein zweites Mal zu befragen.

Carina P.s Fall ist noch nicht entschieden. Ihr Anwalt, Robert Lattermann, beantragte eine Fortsetzung des Verfahrens. "Nach meinen Informationen ist eine Einstellung nicht nachvollziehbar." Eine Entscheidung steht noch aus.

Straftaten in Zahlen

Angriffe: 2013 gab es 39.525 Anzeigen und 5113 Verurteilungen (7,7 %) wegen vorsätzlicher Körperverletzung.

Sexdelikte: 4309 Anzeigen und 406 Verurteilungen (10,6 %) im selben Zeitraum.

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