Vierjährige erstochen: Familie stand vor Delogierung

Im Bild: Vater und Bruder des toten Mädchens mit Seelsorgern
13-jähriger Bruder fand das Mädchen mit schweren Verletzungen. Die Mutter wurde festgenommen.

In der Goldscheidgasse in Wien-Hernals hat sich am Dienstagmorgen ein Gewaltverbrechen ereignet, bei dem ein vierjähriges Mädchen erstochen worden ist.

Wie der KURIER erfuhr, ereignete sich die Tat gegen 7.30 Uhr. Ein Notarzthubschrauber war im Einsatz, die herbeigerufenen Helfer hatten noch versucht, das Kind zu reanimieren, jedoch kam jede Hilfe zu spät. Ersten Informationen von Rettungskräften zufolge sollen die Einsatzkräfte ob der Schwere der Tat regelrecht traumatisiert sein.

Der 13-jährige Bruder hatte das Kind in der Früh in einer Blutlache mit schweren Verletzungen gefunden. Die Mutter soll noch mit dem Messer in der Hand danebengestanden sein. Der Jugendliche war es auch, der zu den Nachbarn lief, die anschließend die Einsatzkräfte verständigten. Der Vater des Mädchens war zum Tatzeitpunkt in der Arbeit. Die 38 Jahre alte Frau soll beim Eintreffen der Rettungs-und Polizeikräfte auf diese einen geschockten Eindruck gemacht haben. Sie ließ sich widerstandslos festnehmen. Angaben machte die Mutter vorerst keine.

Vor Delogierung

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Mädchen ermordet Hernals
Zudem erfuhr der KURIER exklusiv, dass die Familie des Kindes am Tag der Tat delogiert hätte werden sollen.

Es soll bereits der sechste Delogierungstermin gewesen sein. Wieso die offenbar in geordneten Verhältnissen lebende Familie derartige Probleme mit dem Aufbringen der Miete hatte, war bei Wiener Wohnen nicht bekannt. Die Hausverwaltung unterstrich, dass es eine Reihe von Hilfsmöglichkeiten - von Ratenvereinbarungen bis hin zu Zuschüssen - gibt, die soziale Härtefälle abfedern können.

Familie nicht behördlich bekannt

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Weder die Frau noch ihre Familie waren bisher behördlich aufgefallen. Wie die Sprecherin der MagElf, Herta Staffa, auf Anfrage erklärte, gab es seitens des Jugendamts keinen Kontakt: "Die Familie war uns bisher nicht bekannt."

Eine 40-jährige Nachbarin berichtete allerdings von Geldproblemen. Die 38-Jährige sei "unauffällig" gewesen, habe manchmal mit den Kindern geschrien, sei aber nie gewalttätig geworden. Am Montag habe sie sich mit der zweifachen Mutter zu einem Kaffee getroffen, wo diese von finanziellen Schwierigkeiten berichtet hätte, so die Nachbarin. Sie habe der Frau daraufhin 200 Euro geborgt.

Entgegen ersten Berichten war das Kind nicht drei oder fünf, sondern vier Jahre alt.

Aus Pietätsgründen kann unter diesem Artikel nicht gepostet werden, wir bitten um Verständnis.

Jedes Jahr werden einige Kinder von null bis 18 Jahren in Österreich von ihren Eltern getötet. Das zeigte eine Studie der Psychiaterin Claudia Klier (MedUni Wien/AKH) vor einigen Jahren. Häufig geschehen solche Delikte unmittelbar nach der Geburt. In mehr als 70 Prozent der Fälle sind die Täter die Mütter.

Abgesehen von der Tötung eines Neugeborenen bei der Geburt, was eine spezielle Situation darstellt, die auch von der Rechtsordnung durch Privilegierung der Mutter (Ausnahmezustand unter dem Eindruck der Geburt mit verringerter Strafandrohung) berücksichtigt wird, ist die Anzahl der Fälle relativ gleich verteilt bis zum 18. Lebensjahr. Die Häufigkeit solcher Taten nimmt mit steigendem Alter der Kinder ab.

107 Fälle im Jahr 2014

Im Jahr 2014 wurden in Österreich 107 Fälle von vorsätzlicher Tötung (davon 38 vollendete Taten und 69 Versuche) angezeigt. An sich sind Tötungsdelikte bei älteren Kindern selten. 2014 wurden in Österreich insgesamt vier Kinder bzw. Jugendliche bis 18 Jahre als Opfer von Tötungsdelikten mit Anzeige wegen Mordes registriert. Es gab zwei Fälle als Opfer eines Tötungsdeliktes unmittelbar nach der Geburt. Die geringe Zahl dieser Delikte insgesamt lässt eigentlich keine statistischen Vergleiche zu.

Die psychiatrische Evaluation von Tätern nach Kindstötungen findet in 90 Prozent der Fälle statt, "daher haben wir einen sehr guten Aufschluss darüber", berichtete Klier im Jahr 2011. Der fehlende Prozentsatz ist auf Mütter und Väter zurückzuführen, die nach der Tat Selbstmord begehen, was am häufigsten auf Männer zutrifft. Die Väter stehen bei derartigen Taten auch häufiger unter Substanzeinfluss wie Alkohol, was bei den Müttern wiederum so gut wie gar nicht vorkommt. Auch Persönlichkeitsstörungen spielen bei den Männern eine Rolle. Die Mütter sind häufiger psychotisch erkrankt und leiden an Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen, sagte die Psychiaterin.

Psychosen, Depressionen

Bei Psychosen (ein Drittel der Mütter, die Kindstötungen begehen, leiden darunter) haben die Erkrankten häufig Wahnvorstellungen bezüglich des Kindes. Bei Depressionen werden die Täter eher davon geleitet, das Kind vor der schlechten Welt bewahren zu wollen.

Auffällig war in der Studie, dass ein Drittel der Mütter ein Jahr vor der Tat Hilfe wegen psychiatrischer Probleme gesucht hatte. Bei der Hilfesuche wurde aber nicht genau genug nachgefragt, ob es auch Tötungsfantasien in Bezug auf das Kind gibt, berichtete Klier. Man habe zu wenig geschaut, "ob sich psychotische Symptome auf das Kind beziehen".

Eltern, die psychisch erkrankt sind, seien einem hohen Stress ausgesetzt, sich auch ausreichend um das Kind kümmern zu können. "Sie brauchen Unterstützung und Betreuung", sagte Klier. Die Psychiaterin betonte, dass Mütter, deren psychische Erkrankungen behandelt werden, gute Mütter sein können. Intuitive mütterliche Fähigkeiten werden bei unbehandelten Erkrankungen außer Gefecht gesetzt.

Für die vom AKH erstellte Studie wurden 150 Fälle in Österreich und 88 Fälle in Finnland über einen langen Zeitraum hinweg untersucht. Ein Großteil der getöteten Kinder wurde erstickt (22 Prozent), 17 Prozent ertränkt, acht Prozent erschossen und fünf Prozent erschlagen. Ein kleiner Teil starb nach Kindesmissbrauch.

"Schwere Delikte sind bei Menschen mit Psychosen häufiger"

Insgesamt wird die Bedeutung psychischer Erkrankungen in der Kriminalität in der öffentlichen Diskussion regelmäßig überschätzt. "Schwere Delikte sind bei Menschen mit Psychosen häufiger, bei Männern sechs- bis zehnmal häufiger, bei Frauen sieben- bis 19-mal häufiger. Doch die Schizophrenie ist eine vergleichsweise seltene Erkrankung mit 0,5 bis einem Prozent unter der Bevölkerung." Daher wirke sich diese Gruppe sehr gering auf die Kriminalitätsstatistik aus, betonte Wiener Psychiater Thomas Stompe (Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie/MedUni Wien/AKH) vergangenes Jahr gegenüber der APA zum Beispiel psychotischer Erkrankungen.

Umgekehrt sind Menschen mit Schizophrenie speziell gefährdet, Opfer von Gewalt, Benachteiligung, Stigmatisierung und Missbrauch zu werden. Stompe führte aus: "12,7 Prozent der Obdachlosen leiden an einer psychotischen Erkrankung. Die Mortalität von Schizophrenen steigt deutlich an. Sie sterben durch Suizid elf Mal häufiger als andere Menschen, durch Unfälle zwei Mal öfter." Schizophrene seien auch viel häufiger von Kriminalität wie physische Attacken, Raub und Vergewaltigung betroffen.

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