Wenn Folter nur "Unbill" hervorruft

Der Fall Bakary sorgt weiter für Wirbel.
Gerichtspsychiaterin kritisiert Bezahlung, Auswahl und mangelnde Qualitätskontrolle.

Es ist das siebente Gutachten. Die sechs vorangegangenen hatten Bakary J. eine durch die Folterung ausgelöste schwere Traumatisierung attestiert. Aber die Republik ist auch acht Jahre nach der dunkelsten Stunde polizeilicher Amtshandlungen nicht bereit, das Opfer angemessen zu entschädigen. Deshalb wurde der siebente Sachverständige beauftragt.

Der Psychiater Norbert Loimer konnte bei Bakary J. keine Anhaltspunkte für eine Traumatisierung finden. Die Folterung des damaligen Schubhäftlings in einer Lagerhalle durch WEGA-Beamte, die ihm Knochen brachen und ihn Scheinhinrichtungen unterzogen, habe bloß "Unbill" hervorgerufen. Der Gutachter bemängelte, dass ihm Bakary J. nicht habe erklären können, weshalb er 1997 überhaupt aus Gambia nach Österreich geflüchtet sei und sich dann am 7. April 2006 der Abschiebung widersetzt habe. Wobei Psychiater Loimer über J.s Heimat ohne Fachwissen eine selbstherrliche Einstufung als "sicheres" Land abgibt.

Wenn Folter nur "Unbill" hervorruft
Gabriele Wörgötter
J.s Anwälte Nikolaus Rast und Susanne Kurtev lehnen die Expertise ab. Sie ist ein Paradebeispiel für jene Art von Gutachten, über die die anerkannte Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter sagt: "Da wird viel gesagt, und es steht wenig dahinter." Auf die Qualität komme es in Österreich nicht an, die Richter würden schnelle und billige Gutachten bevorzugen. Wörgötter hat 100 zufällig ausgewählte Gutachten in Sozialrechtsverfahren zur Arbeitsfähigkeit analysiert und festgestellt, dass in 52 % keine Exploration (Befragung des Untersuchten) und in 95 % keine Verhaltensbeobachtung stattgefunden hat, in 50 % keine Diagnose und in 88 % keine Prognose gestellt wurde. Die PVA hat großes Interesse daran, Frühpensionen tunlichst zu verhindern. Wer in diesem Sinne verfasste Gutachten kritisiert, wird bekämpft. Im Fall Wörgötter über ständige Einsprüche gegen ihre (üblichen) Gebührennoten, welche den Richtern mehr Arbeit bescheren. Ende vom Lied: Wörgötter wird vom Sozialgericht kaum noch beschäftigt.

Mundtot gemacht hat sie das nicht. Gerade widerspricht sie Justizminister Wolfgang Brandstetter, der meint, mit seinem Entwurf zum neuen Gebührenanspruchsgesetz mehr (junge) Psychiater als Gutachter anlocken zu können. Wörgötter und andere namhafte forensische Psychiater meinen, von 62 Euro Pauschale pro Untersuchung oder 122 Euro für eine "fachlich komplexe Begründung" könne keiner leben. Im Übrigen sei jede Begründung, mit der in Menschenleben eingegriffen werde, fachlich komplex. Oder sollte es zumindest sein.

Keine Ahnung

Um auf die Sachverständigenliste zu kommen, muss man sich der Prüfung einer Kommission unterziehen: Zwei Gutachter, die schon auf der Liste stehen, prüfen den Kandidaten, ein Richter (seit 2014 wechseln sich mehrere ab) führt den Vorsitz. "Wer die Prüfung besteht, hat deshalb noch keine Ahnung vom Erstellen eines Gutachtens", sagt Wörgötter. Und doch entscheidet er über Kindesabnahme, Berufsunfähigkeit, Entmündigung, Dauer einer Anhaltung. Theoretisch entscheiden freilich Richter, doch verlassen sie sich auf den Gutachter, bei dem sie oft "nicht einmal einen Neurologen von einem Psychiater und diesen von einem Psychologen unterscheiden können."

Streichungen von der Liste sind ganz selten. Da muss schon ein Wirtschaftsprüfer selbst einen Konkurs gebaut haben, um seine Gutachter-Stellung zu verlieren. In den letzten fünf Jahren wurde einem Psychiater die Gutachter-Position entzogen.

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