Aliyev-Prozess: Richter nennt Anklägerin "naiv"

Kein dringender Tatverdacht mehr: Koshlyak und Mussayev wurden Ende April aus der U-Haft entlassen. EPA/ROLAND SCHLAGER
Enthaftungsbeschluss: Die Staatsanwältin sieht beim Vorsitzenden eine "vorgefasste Meinung"

Der Vorsitzende im „Aliyev-Prozess“ um die Ermordung zweier kasachischer Banker hat nicht nur massive Zweifel an der Anklage der Staatsanwaltschaft Wien, die er wörtlich als „naiv“ bezeichnet. Er bezichtigt den Staatspräsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, die „nahezu belegte“ Manipulation von Beweismitteln zumindest geduldet zu haben.

Das geht aus dem Beschluss hervor, mit dem die nach dem Tod des Ex-Botschafters Rakhat Aliyev verbliebenen Angeklagten, Ex-Geheimdienstchef Alnur Mussayev und Ex-Leibwächter Vadim Koshlyak, auf freien Fuß gesetzt wurden.

Unter Druck gesetzt

Die Anklage stützt sich laut Richter Andreas Böhm „unreflektiert“ auf die „vor Widersprüchen strotzenden“ Zeugenaussagen von Personen, die womöglich „entweder mit den kasachischen Behörden zusammenarbeiten oder von diesen entsprechend unter Druck gesetzt werden“.

Böhm äußert die Vermutung, von Kasachstan zur Verfügung gestellte Rufdaten könnten „nachträglich hergestellt“ worden sei: „Dies indiziert in nicht unerheblichem Ausmaß die Behauptung der Angeklagten und des verstorbenen Aliyev, dass die beiden Bankmanager in Wahrheit vom kasachischen Geheimdienst getötet wurden und dass der ganze Mordfall nachträglich konstruiert wurde, um Aliyev auszuschalten.“

Die Opferanwälte Lansky, Ganzger und Partner verweisen auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts, wonach die Rufdaten „offenkundig nicht manipuliert“ seien.

Staatsanwältin Bettina Wallner kritisiert in ihrer Beschwerde die „offenbar vorliegende vorgefasste Meinung“ des Richters. Diese zeige sich „insbesondere durch seine beweiswürdigenden Fragestellungen.“ Der Richter habe die Aufgabe der Geschworenen vorweggenommen, denen allein die Entscheidung über die Schuldfrage zusteht.

Für Aliyevs langjährigen Rechtsvertreter Manfred Ainedter steht indessen fest: „Die Anklage schmilzt wie Butter in der Sonne.“

Der Selbstmord des ehemaligen kasachischen Botschafters in seiner Zelle der Justizanstalt Josefstadt hat nun zu einer Änderung der Meldepflicht geführt. Das Justizministerium hat diese im Fall von Selbstmorden und Selbstmordversuchen in Haftanstalten neu geregelt. Künftig muss die in allen Fällen die Staatsanwaltschaft unverzüglich verständigt werden, wenn sich ein Häftling das Leben nehmen will, genommen hat oder es diesen Anschein erweckt. Mehr dazu lesen Sie hier.

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