Gespräch mit dem Papst "auf Augenhöhe"

Gespräch mit dem Papst "auf Augenhöhe"
Kardinal Schönborn über den Ad-limina-Besuch bei Papst Franzsikus im Vatikan.

Kardinal Christoph Schönborn und die österreichischen Bischöfe haben bei ihrem Ad-limina-Besuch diese Woche in Rom auch das Ergebnis der Befragung des Kirchenvolks in Österreich übergeben – eine überwältigende Mehrheit hat sich ja für die Zulassung von Wiederverheirateten zu den Sakramenten oder die Enttabuisierung der Empfängnisverhütung ausgesprochen. Die Gespräche mit Papst Franziskus verliefen „auf Augenhöhe“, sagte der Kardinal in Rom und spricht im Interview über den Papst und den „realistischen Sinn seiner Sicht der Situation von Ehe und Familie“.

KURIER: Herr Kardinal, wie spricht man mit einem Papst „auf Augenhöhe“?

Christoph Schönborn: Wir hatten ganz stark den Eindruck, dass der Papst als Bischof von Rom mit Brüdern im Bischofsamt gesprochen hat. Ein Hirte, der den Hirten zuhört, ihre Sorgen anhört und seine Erfahrung einbringt. Das Gespräch war im besten Sinne des Wortes brüderlich.

Das Gespräch über die Kirche in Österreich ...

Natürlich geht es bei einem Ad-limina-Besuch immer auch um Fragen, wie es mit der Kirche in einem Land steht. Sein Wort war immer: „Avanti“, also „geht voran“. Ermutigung ist der große Impuls, der von ihm ausgeht. Und eine positive Sicht der Situation der Kirche in einer sehr spannenden Welt.

Besonders gespannt sind die Katholiken, die den Fragebogen der Kirche ausgefüllt haben: Wie hat der Papst auf die Ergebnisse reagiert?

Wir haben die 34.000 Antworten im vollen Umfang an das Synodensekretariat übergeben. Dort werden sie analysiert und ausgewertet. Der Papst hat die 34.000 Stellungnahmen eines kleinen Landes wie Österreich natürlich nicht gelesen, es kommen ja Antworten aus der ganzen Welt. Interessant war auch zu hören, was die großen Sorgen zum Thema Familie in Afrika oder Lateinamerika sind.

Aber Sie haben Franziskus ja eine Zusammenfassung mitgebracht.

Wir haben ausführlich über das Thema Ehe und Familie gesprochen. Was mich sehr beeindruckt hat, ist der realistische Sinn seiner Sicht der Situation von Ehe und Familie. Die kennt er bestens aus Lateinamerika, wo ja ganz viele Menschen in schwierigen Familienverhältnissen leben, in Patchwork-Situationen, als Alleinerzieher. Das, was wir bisher sagen können, ohne die Familiensynode im Herbst vorwegzunehmen, ist seine Ermutigung, die Situationen, so wie sie sind, zu begleiten und die positiven Schritte zu sehen, die gesetzt werden.

95 Prozent der österreichischen Katholiken wollen Sakramente auch für Wiederverheiratete, keine Tabuisierung der Empfängnisverhütung – hat das den Papst überrascht, und kann er sich Änderungen in der kirchlichen Lehre in diesen Punkten vorstellen?

Ich glaube nicht, dass es um Änderungen in der kirchlichen Lehre geht. Wir können ja nicht an den Worten Jesu vorbei unseren Glauben artikulieren. Aber es geht sicher um die Frage, wie wir besser mit Situationen des Scheiterns von Beziehungen umgehen, wie wir damit umgehen, dass Partnerschaft sich heute in vielen verschiedenen Formen ausdrückt. Franziskus hat uns in den eineinhalb Stunden, die wir mit ihm reden konnten, nicht die große Lösung präsentiert. Aber er hat den verständnisvollen und Anteil nehmenden und wertschätzenden Blick gezeigt für die Menschen in Situationen, in denen sie eben sind. Das ist es, was von ihm ausgeht.

Begleiten ist das eine, aber das andere ist die Frage der Gläubigen nach Antworten auf ihre artikulierten Wünsche. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass es bald einmal Sakramente für Wiederverheiratete gibt?

Das wird Thema der Synode im Herbst sein. Genau deshalb hat der Papst ja dieses breite Befragung gemacht, hat hinschauen und hinhören wollen, wie weltweit die Situation von Ehe und Familie aussieht.

Trotzdem: Sind Änderungen in diesen Fragen denkbar?

Die Synode hat noch nicht stattgefunden. Es ist selbstverständlich nicht zu erwarten, dass der Papst der Synode vorgreift, an der übrigens auch Laien und Ehepaare teilnehmen werden. Es wäre ganz konträr zu seinem Selbstverständnis, in einsamer Kammer Entscheidungen zu treffen, die nicht gemeinsam beraten sind.

Sind Änderungen in diesen Fragen für Sie denkbar?

Auch ich will der Synode nicht vorgreifen. Nehmen wir das Positive: Dass der Papst bis hinunter in die Pfarrgemeinden hören will, wissen will, wie die Lage ist. Und es gibt noch andere Themen und Dimensionen, die wir bei diesem Besuch zu thematisieren hatten.

Und zwar?

Der Papst hat sehr positiv auf die Initiative österreichischer Ordensfrauen reagiert, das große und dramatische Thema Menschenhandel aufzugreifen. Es wird in der nächsten Woche eine große internationale Konferenz zu dem Thema in Wien geben, und der Heilige Stuhl ist massiv daran interessiert. „Das ist eines der dringendsten Themen der heutigen Zeit“, hat Franziskus gesagt, „hier passiert Sklavenhandel unter unseren Augen, ohne dass wir hinschauen.“

Was kann der Papst dagegen tun?

Dieser Papst hat die Kraft und Entschiedenheit, auf dem internationalen Parkett die großen Fragen für die Menschheit anzugehen: Die Frage der Armut, des Menschenhandels und des Friedens. Da will er nicht lockerlassen, da will er das Gewissen der Staatengemeinschaft wachrütteln. Das ist auch die Botschaft an die österreichische Öffentlichkeit und die Regierung, die ebenfalls herausgefordert ist.

Österreich muss da mehr tun?

Es ist schon ein ganz großes Zeichen der internationalen Wertschätzung und derer Roms, dass die Konferenz in Wien stattfindet. Diese Botschaft gebe ich gerne weiter.

Als der Vatikan im vergangenen Herbst seine Diözesen in der Welt aufforderte, die Einstellung der katholischen Schäfchen zu Ehe und Familie zu erforschen, war das noch nichts Besonderes: Schon öfter gab es eine solche Berichtspflicht zu verschiedenen Themen, und die Bischöfe rapportierten, was sie für die Einstellung ihrer Schäfchen hielten.

Doch als kurz darauf der Fragebogen im Internet auftauchte, zunächst von den britischen Bischöfen und dann auch vom Vatikan veröffentlicht, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, das Kirchenvolk zu befragen, da war die Überraschung bei den Bischöfen groß: Das hatte es noch nie gegeben.

Und Eile war geboten. Denn der Papst wollte die Ergebnisse bis Ende Jänner wissen, um sie im kommen Oktober bei der Sonderbischofssynode zu erörtern und mögliche Schlüsse daraus zu ziehen.

In Österreich nahmen bis Ende vergangenen Jahres rund 34.000 Katholiken an der Umfrage teil. Und das Ergebnis zeigt, dass kirchliche Lehre und die Praxis bzw. die Erwartungen der Gläubigen zum Teil weit auseinanderklaffen.

96 Prozent für Änderung

In der Diözese Graz-Seckau – von dort kamen mit 14.000 ausgefüllten Fragebögen die meisten Antworten – befürworteten 96 Prozent der Umfrage-Teilnehmer die Weitergabe von Sakramenten für wiederverheiratete Geschiedene. Fast genauso viele (95 Prozent) wünschten, dass die Verhütung mit hormonellen Methoden und Kondomen kein Tabu mehr für die Kirche sein soll. Und 71 Prozent sprachen sich gegen die ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaften aus.

Die Antworten in den anderen Diözesen sahen ähnlich aus. In Oberösterreich etwa lautete die Zusammenfassung der Umfrage laut religion.ORF.at, dass die Menschen die Abgehobenheit und Realitätsferne der kirchlichen Lehre von menschlichen Problemen und von der Wirklichkeit des Beziehungsalltages beklagten, so die Abteilung „Ehe und Familie“ der Diözese Linz.

Gemeinsam ist denen, die an der Umfrage teilnahmen, aber auch, dass sie Liebe und Treue, Ehe und Familie für hohe, anzustrebende Werte halten. Knapp 90 Prozent wollen den katholischen Glauben auch an ihre Kinder weitergeben.

Insgesamt, so analysierte die Erzdiözese Wien (8000 Antworten), sei die „Diskrepanz zwischen der offiziellen Lehre und den Ansichten vieler Gläubiger groß“.

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