997 Anzeigen gegen Polizisten

Der zeigt die Folter eines Afrikaners in einer Lagerhalle in Wien 2006. In diesem Fall gab es Schuldsprüche gegen die Beamten
Nur 26 Schuldsprüche vor Gericht im Vorjahr / Diskussion über die Ursachen.

Im Vorjahr wurden exakt 997 Anzeigen gegen Polizisten erstattet. Das ist ziemlich viel, schließlich gibt es nur 23.000 Polizeibeamte.

In den meisten Fällen ging es um Amtsmissbrauch und Körperverletzung, heißt es in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung der SPÖ von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Am Ende dieser Vorwürfe und Verfahren standen jedenfalls nur zehn Entlassungen und 26 Schuldsprüche vor Gericht. Das ist sehr wenig. Denn in Österreich enden 6,4 Prozent aller Anzeigen mit einer Verurteilung. Bei Polizisten sind es lediglich 2,6 Prozent.

„Polizisten haben eine sehr exponierte Stellung, deshalb werden sie öfters angezeigt. Wenn es Vorwürfe gibt, dann wird das sofort der Justiz vorgelegt. Die Frage der Verurteilungen muss die Justiz beantworten“, heißt es im Innenministerium.

Geschulte Zeugen

Die Studie eines Rechtswissenschaftlers der Uni Berlin erklärt hingegen, dass die Justiz durchaus Probleme mit Verfahren gegen Polizisten hat. In Deutschland sind die Zahlen fast ident mit denen in Österreich. Ursache für die seltenen Verurteilungen ist demnach, dass Polizisten durch ihre Arbeit geschult sind und wissen, wie man richtige Aussagen macht. Dazu kommt, dass Staatsanwälte auf die Polizei angewiesen sind, wenn sie künftige Verfahren führen, und deshalb eher vor Prozessen zurückschrecken. Außerdem können Zeugen wegen der Uniformen nicht immer klar sagen, welcher Beamte genau was getan hat.

Schützenhilfe für Justiz und Polizei kommt überraschend von Heinz Patzelt, dem Generalsekretär von Amnesty International: „Ich war zuletzt bei einigen Prozessen. Der Trend geht dorthin, dass Richter und Staatsanwälte die Arbeit der Polizei kritischer hinterfragen als bei anderen Menschen.“ Nach Patzelts Meinung sei aber ohnehin die Qualität der Polizeiarbeit vor allem in den Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) zu sehen. „Dort wird oft weniger der Beamte als die gesamte Polizeiarbeit beurteilt. Es ist ärgerlich, dass diese Urteile von der Polizei nicht sehr ernst genommen werden. Hier wäre ein echtes Qualitätsmanagement nötig.“

Rechtsanwalt Ingo Riß, der bereits Polizeiopfer vertreten hat, sieht durchaus „auffallend wortidente Aussagen“ von Beamten bei Prozessen. „Dass sich Staatsanwälte und Polizisten kein Auge auskratzen, wäre zu viel gesagt, aber es gibt eine Atmosphäre der Kameraderie. Vor allem im Wiener Grauen Haus sind Staatsanwaltschaft und Richter unter einem Dach, das bringt eine enge Kollegenschaft. Deshalb wird mitunter nur angeklagt, was auch sicher zu einer Verurteilung führt.“

Eine verloren gegangene Speicherkarte hat einen 47-jährigen Polizisten aus Oberösterreich im August 2012 entlarvt. Der Finder hatte kinderpornografisches Material auf dem Datenträger entdeckt und Anzeige erstattet. Herr S. wurde nun rechtskräftig aus dem Polizeidienst entlassen.

Zuvor wurde er im Dezember am Landesgericht Linz zu fünf Monaten bedingter Haft und einer Geldstrafe verurteilt. Gegen die Entlassung, ausgesprochen von der Disziplinarkommission, legte S. Berufung ein. Mit der Begründung, er habe bereits eine Therapie angefangen. „Er schämt sich fürchterlich für seine Neigung und verdient eine zweite Chance. Er möchte im Innendienst weiterarbeiten“, betont sein Anwalt Andreas Mauhart. Die Berufung wurde abgewiesen. Die Entlassung ist seit 29. August rechtskräftig.

„Eine völlig richtige Entscheidung, die wir sehr befürworten“, sagt David Furtner, Sprecher der Landespolizeidirektion. „Solche Leute brauchen wir nicht. Wir genießen ein hohes Vertrauen der Bevölkerung und wollen dem gerecht werden.“

2008 wurde bei einem ähnlichen Fall die Entlassung eines Polizisten in Niederösterreich aufgehoben. Er verrichtet nun Bürodienst.

Weil er im Zuge einer Festnahme von der Grazer Polizei angeblich nicht korrekt behandelt worden ist, hat ein Asylwerber aus Nigeria eine Maßnahmebeschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) eingebracht

Der 33-jährige Verkäufer Henry E. der Grazer Straßenzeitung "Megaphon" ist im Juni am Hauptbahnhof festgenommen worden, weil er in sein Herkunfstland abgeschoben werden sollte. Sein Asylverfahren war rechtskräftig beendet worden.

Leibesvisitation

Die Festnahme selbst verlief ruhig, auch die Leibesvisitation in der Polizeiinspektion. Dass er dabei sogar die Unterwäsche ausziehen musste, ist Teil der Beschwerde, ging es doch um eine fremdenpolizeiliche Angelegenheit und keineswegs um Drogen. "Wir mussten kontrollieren, ob gefährliche Gegenstände in der Unterhose waren", rechtfertigte sich einer der Beamten.

Als das Gespräch auf die Abschiebung kam, begann der Wirbel. "Der Polizist ist aufgestanden, weil er mir Handschellen anlegen wollte und ich auch, dann kann ich mich an nichts mehr erinnern", so E.

Als nächstes gab er an, dass er mit dem Gesicht nach unten am Boden fixiert war und eine Maske über den Mund gezogen bekam. Er blutete am Kopf, und wurde - an Händen und Füßen gefesselt - ins Krankenhaus gebracht. Dort wurden laut Ärzten "Bagatellverletzungen festgestellt" und der Mann wieder entlassen.

Selbstverletzung mit Heftmaschine?

Ganz anders schilderten die Polizisten den Hergang: "Er ist wie ein Rumpelstilzchen herumgesprungen", beteuert ein Beamter. „Er hat den Tacker vom Tisch gerissen und sich aufs Hirnkastl gehaut. Er hat sich aufgeführt wie ein Tier.“
Sein Kollege bestätigt. „Er ist ausgezuckt, völlig überraschend. Er hat getobt und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen.“ Einem Kollegen sei es gelungen, „ihn am Boden abzulegen“, berichtet ein weiterer Polizist. „Er hat geschrien und getobt: I will kill me.“

Außerdem musste man ihn am Boden fixieren, die Maske sei nötig gewesen, weil er gespuckt habe. "Was mich nur wundert ist, dass Sie die Heftmaschine nicht sichergestellt haben. Die wurde nur gereinigt und gleich wieder verwendet", so Richter Erich Kundegraber zu einem der Polizisten. "Was glauben Sie, wie mich diese Beschwerde gewundert hat?", antwortete der Zeuge. Wie sich herausstellte, war Henry E. am selben Tag noch einmal zur selben Polizeiinspektion gegangen, um seinen vergessenen Schlüssel zu holen. "Hatten Sie da Angst?", fragte der Richter. "Nein", so der 33-Jährige.

Eine Entscheidung in diesem Fall wird es nicht so schnell geben, es dürften noch weitere Zeugen einvernommen werden.

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