Urteilsquiz Teil 2: Sind Sie ein guter Richter?

Sind Sie ein guter Richter?
Echte Kriminalfälle, heute Fall 2: Wer haftet für Folgen eines (handgreiflichen) Parkplatzstreits?

Die Vorarlbergerin B. macht mit ihrer kleinen Tochter und ihren Eltern im Auto einen Ausflug auf den Bregenzer Hausberg, den Pfänder. Oben angekommen, hält sie auf dem Parkplatz nach einer geeigneten Parklücke Ausschau.

Oh welch ein Glück, da fährt gerade ein anderes Auto rückwärts aus einem Parkplatz. Frau B. betätigt ihren Blinker und lenkt den Wagen in die Richtung der frei werdenden Lücke.

Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie eine Frau offenbar einem Autolenker in weiterer Entfernung ein Zeichen gibt, dass er in die Lücke einfahren könne. Beide Damen gestikulieren und bringen damit zum Ausdruck, den Parkplatz für sich beanspruchen zu wollen. Daraufhin steigt Frau B.s Vater aus dem Wagen und teilt der anderen Frau mit, dass seine Tochter auf diesen Abstellplatz warte.

Bedrohlich

In der Zwischenzeit hat sich der andere Autolenker, R., genähert. Die gestikulierende Passantin ist seine Lebensgefährtin. Kurz bevor er in die Parklücke einbiegen kann, chauffiert Frau B. ihr Auto hinein.

Nun steigt Lenker R., der das Nachsehen hatte, aus seinem Wagen. In seinen Händen hält er ein rund fünf cm dickes Kunststoffrohr mit einer Länge von etwa 50 cm. Er macht zwar keine furchterregenden Gebärden damit, der Vater von Frau B. fühlt sich dennoch bedroht und ergreift mit beiden Händen das Rohr, das der andere Mann in Kopfhöhe hält.

Es entsteht ein Gerangel. Auch die Lebensgefährtin von R. mischt sich ein. Nun gerät Frau B. im Auto in Sorge um ihren Vater. Sie steigt ebenfalls aus ihrem Pkw und geht dazwischen. Sie packt R., den Mann mit dem Rohr, an den Schultern und versucht, ihn nach hinten von ihrem Vater wegzuschieben. Der ältere Herr sei schwer krank, R. solle von ihm ablassen.

Im Zuge dieses Gerangels kommt es bei Frau B. plötzlich zu einer Einwärtsdrehung des linken Kniegelenks, woraufhin sie den Halt verliert und stürzt. Ihr Vater und der Mann mit dem Rohr lassen voneinander ab.

Kreuzbandriss

Frau B. erleidet einen Abriss des vorderen Kreuzbandes in Verbindung mit einer Zerrung des Innenbands sowie eine Einwässerung des Knochens samt blutigem Erguss im linken Kniegelenk. Dauerfolgen sind nicht auszuschließen.

Frau B. klagt Herrn R. auf Schadenersatz. Sie behauptet, R. habe ihr mit seinem Knie unerwartet einen Tritt oder Stoß gegen ihr linkes Knie versetzt. Dadurch sei es zur Verrenkung der Kniescheibe und zum Sturz gekommen.

Im Prozess vor dem Landesgericht Feldkirch lässt sich nicht feststellen, dass R. der Frau B. einen Tritt, Schlag oder Stoß versetzt hätte. Aber ist es überhaupt erforderlich, diesen Beweis zu erbringen?

Muss R. die Frau B. körperlich berührt haben, um eine Drehung ihres Kniegelenks und einen Sturz zu verursachen? Musste R. annehmen, dass der Parkplatzstreit derartige Folgen haben könnte?

Notwehr?

Bevor Sie nun Ihr Urteil fällen, ob das Verhalten des R. ursächlich für den eingetretenen Schaden bei Frau B. war, sollten Sie prüfen: Ist Frau B. überhaupt berechtigt von einer Notwehrsituation ausgegangen?

Als kleine Hilfestellung sei noch verraten, dass sich die Gerichtsinstanzen ganz und gar nicht einig waren. Das Oberlandesgericht Innsbruck änderte das Urteil des Landesgerichts Feldkirch, und diese Entscheidung ist endgültig.

Das Ergebnis lesen Sie unten.

Im Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck ist zunächst festgehalten, dass Frau B. "geradezu die Verpflichtung hatte, ihrem kranken Vater Nothilfe zu leisten." R. näherte sich nämlich "ohne jede Notwendigkeit mit einem auf Kopfhöhe gehaltenen Kunststoffrohr ‚bewaffnet‘ dem Vater der Klägerin und begann mit diesem ein Gerangel." Frau B. musste also "einen unmittelbar drohenden Angriff befürchten."

Trotz Hinweisen auf die Krankheit des älteren Mannes und obwohl ihn dessen Tochter aufzuhalten versuchte, stellte der Angreifer sein Verhalten nicht ein. Dass bei einer solchen Rangelei die Gefahr einer Verletzung besteht, ist laut Gericht "schon nach der üblicherweise bereits im Kindesalter vorhandenen Lebenserfahrung" klar, wie im Urteil etwas süffisant festgestellt wird.

Das Verhalten von R. war daher kausal für die Verletzung von Frau B., zumindest musste R. damit rechnen, dass etwas passiert. Dass nicht feststellbar war, ob R. die Drehung des Kniegelenks von Frau B. durch einen Tritt oder Stoß verursacht hat, tut übrigens nichts zur Sache. In jedem Fall ist R. für die Folgen verantwortlich und muss Schadenersatz zahlen.

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