750.000 Österreicher sind völlig überschuldet

Eine Frau hat viele Schulden
Immer mehr Menschen gehen in den Privatkonkurs, 2015 waren es schon 8851. Viele scheitern an den Bedingungen und leben als U-Boot.

Renate Müller (Name geändert) war Sozialarbeiterin, sie unterstützte also andere Menschen dabei, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Als sie bei der Bank mit 60.000 Euro in der Kreide stand, konnte sie ihr eigenes Leben nicht mehr bewältigen. Müller hatte als alleinerziehende Mutter ihr Konto überzogen, auf Anraten des Bankberaters einen Kredit aufgenommen und später aufgestockt. Schließlich wurde sie krank, musste in Pension gehen "und dann war das einfach nicht mehr zu packen".

Die 70-Jährige ging in den Privatkonkurs. Sie verpflichtete sich, binnen vier Jahren 50 Prozent ihrer Schulden zurückzuzahlen, damit ihr der Rest erlassen wird. Fortan wurden ihr im Monat 700 Euro abgezogen, 1100 Euro blieben für den Unterhalt.

"Ich hab’ mein altes Gewand aus dem Kasten hervorgeholt, weil man kann sich nichts mehr kaufen", erzählt Renate Müller dem KURIER: "Früher habe ich gut verdient, auf einmal konnte ich mir nicht einmal mehr den Friseur leisten. Ich bin ja eine ältere Dame und muss die Haare färben, das hat mir meine Tochter gemacht."

Harte Zeit

Im Jänner 2017 ist das Insolvenzverfahren für Renate Müller erledigt, dann bekommt sie wieder die volle Pension: "Vier Jahre sind eine harte Zeit", sagt sie: "Wenn die Katze einen Tierarzt braucht, ist das schon ein Problem. Und die Bank hat mir gekündigt, solche Leute können die nicht als Kunden brauchen. Wie man sich da fühlt!"

Immer mehr Menschen gehen in den Privatkonkurs, 2015 waren es schon 8851 (vor zehn Jahren waren es 5351). Dabei müssten es doppelt so viele sein, glaubt der Schuldnerberater Alexander Maly: "Viele lassen sich von den Bedingungen abschrecken und tauchen in der Schattenwirtschaft unter."

Damit der Zahlungsplan vom Gericht angenommen wird, muss man die Verfahrenskosten berappen und so viel erwirtschaften können, dass eine Quote erfüllt wird. Das sind mindestens zehn Prozent der Schulden innerhalb der nächsten sieben Jahre. In der Zeit wird man auf das Existenzminimum (je nach persönlichen Verhältnissen um die 1000 Euro) beschränkt.

90 Prozent Schuldennachlass, das klingt nur gut. Maly bringt ein Beispiel: Eine Frau macht in den 1990er-Jahren – zur Zeit des Hochzinssatzes – 35.000 Euro Schulden. Sie bleibt Raten schuldig, binnen 15 Jahren hat die Bank den offenen Betrag "völlig rechtens auf 820.000 Euro hochgejubelt" (Maly). 10 Prozent davon sind 82.000 Euro, "und das ist immer noch das Doppelte der ursprünglichen Kreditsumme."

Laut Maly rechnen solche Kreditgeber ohnehin damit, den offenen Betrag abschreiben zu können. Wieder ein Beispiel: Ein Selbstständiger versucht, sein Unternehmen mit einem Darlehen zu retten, was misslingt: 850.000 Euro Schulden – das kann sich nie mehr ausgehen. Der Privatkonkurs wird nicht angenommen. Die Bank streicht einfach eine Null weg, jetzt kann die Rückzahlung funktionieren.

Großzügige Bank? Maly: "Das zeigt, wie absurd und schädlich diese Hochrechnerei ist. Die Bank nimmt sich ein Inkassobüro, um das Maximum rauszuholen. Diese Zahlenspiele haben den negativen Effekt, dass die Motivation des Schuldners in den Keller sinkt."

Auf der faulen Haut

Die Schuldnerberater fordern längst eine Reform des Insolvenzverfahrens: Keine Mindestquote mehr und kürzere Schuldenregulierungsphasen wie in Deutschland (fünf Jahre) oder Frankreich (drei Jahre).

"Nur die wenigsten Überschuldeten gehen in Privatkonkurs, weil sie an den Rahmenbedingungen scheitern", sagt auch der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser: "Sie schleppen sich als U-Boote durchs Leben." Steinhauser plädiert auch für ein flexibleres Insolvenzverfahren: "Wer sich in einer bestimmten Zeit ehrlich um Rückzahlung bemüht, soll von den Schulden befreit werden. Das Gericht muss überprüfen, ob er auf der faulen Haut liegt oder sich anstrengt."

Immerhin leben bereits 748.000 Menschen in überschuldeten Haushalten.

Private Insolvenz

Zustimmung: Es gibt zwei Varianten des Insolvenzverfahrens: Die Gläubiger stimmen Mindestangebot und Teilzahlungen zu.
Zehn Prozent: Ohne Zustimmung der Gläubiger legt das Gericht eine Rückzahlung von zehn Prozent in sieben Jahren fest.
Befreiung von Restschuld: Am Ende wird man von der Restschuld befreit. Bei einem Scheitern leben Schulden und Zinsen wieder auf.

Aktuelles in Zahlen

8851 Privatkonkurse gab es 2015 (1138 wurden mangels Vermögens vom Insolvenzverfahren ausgeschlossen), 2014 waren es 8438 (1146 Abweisungen), zehn Jahre davor 4669.

661.791 Exekutionen des Lohnes und 811.600 Fahrnisexekutionen (Gegenstände) gab es 2015, wie aus der Beantwortung einer von den Grünen eingebrachten parlamentarischen Anfrage durch den Justizminister (ÖVP) hervorgeht.

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