Pädagogen dringend gesucht

Pädagogen dringend gesucht
Im Lesachtal unterrichten ein Sprachwissenschaftler und eine Dolmetscherin die Mittelschüler.

Der Lehrermangel in Österreich sorgt jetzt auch in den ländlichsten Regionen für Gesprächsstoff. Vier Aufrufe hat es gegeben, seufzt Franz Guggenberger, Bürgermeister und Direktor der Neuen Mittelschule (NMS) Lesachtal: „Aber niemand hat sich gemeldet, hier aufs Land, in eine Randregion zu gehen.“
Dann entschied sich der Landesschulrat, die Ausschreibung für Lehrkräfte aus „gegenstandsnahen Bereichen“ ohne pädagogische Ausbildung zu öffnen. Und so unterrichten an der NMS Lesachtal seit Beginn des aktuellen Schuljahres neben ausgebildeten Pädagogen ein Sprachwissenschafter und eine Dolmetscherin. Die großen Elternproteste dagegen blieben bisher aus.

Franz Guggenberger: „In der NMS sind für Deutsch, Englisch und Mathematik pro Klasse neben dem Hauptschullehrer für sechs Stunden pro Woche auch jeweils ein AHS-Lehrer vorgesehen.“ Doch die als „Professoren“ bekannten Pädagogen reißen sich nicht um Jobs in den abgelegenen Tälern.

Novum

„Diese Form des Unterrichts wird in berufsbildenden Höheren Schulen ja schon lange praktiziert“, verweist Walter Ebner, Landesschulrats­präsident von Kärnten, auf die gängige Praxis. Für Kinder im Pflichtschulalter sind Lehrkräfte ohne pädagogische Ausbildung jedoch noch ein Novum.
„Diese Lehrer haben Sonderverträge und müssen die pädagogische Ausbildung innerhalb eines Jahres nachholen“, betont Ebner. Ihre „Stammschule“ ist die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW) in Hermagor, mit der die NMS Lesachtal kooperiert.

Der Lehrermangel ist allerdings kein reines Kärntner Problem: In fast ganz Österreich werden Ersatzkräfte eingesetzt (siehe Zusatzbericht) .
Sprung ins kalte Wasser Der Start im Lesachtal war nicht leicht. Im Gegensatz zu ihren einschlägig ausgebildeten Kollegen wurden die neuen Lehrer ohne Praktikum von einem Tag auf den anderen vor eine Klasse gestellt. Ihre „Stammschule“ ist die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW) in
Hermagor, mit der die NMS Lesachtal kooperiert.

Die Neulinge haben den Sprung ins kalte Wasser nur zum Teil bewältigt. Klaus Bürger, studierter Sprachwissenschafter aus Klagenfurt, unterrichtet im Team mit einem Hauptschullehrer Deutsch: „Die Wissenschaft ist nüchterner, der Unterricht lebendiger. Man muss sich an Alter, Wissensstand und Sprachschatz der Kinder anpassen.“

Meist werde er mit „Herr Lehrer“ angesprochen, seltener als „Herr Bürger“: „Ob Wissenschaft oder Unterricht – in beiden Fällen geht es um Wissen.“ Die fehlende pädagogische Ausbildung hole er derzeit in einer berufsbegleitenden Seminarreihe der Pädagogischen Hochschule nach.

Für den Job pendelt Bürger von Klagenfurt ins Lesachtal, eine Anreise von zwei Stunden. Er hat drei Tage hintereinander Unterricht und bleibt während dieser Zeit im Lesachtal. Die Frage, ob er Spaß an der Sache habe, will er im KURIER-Gespräch nicht beantworten: „Das ist mir zu persönlich.“

Große Freude mit ihrer Tätigkeit hat Johanna Martin aus Tröpolach im Gailtal. Die 26-Jährige ist studierte Dolmetscherin. „Bei einem Kurs für Erwachsenenbildung habe ich bemerkt, dass mir der Unterricht viel mehr Spaß macht als reine Übersetzungsarbeit.“

Also begann sie ein Lehramtsstudium, das sie nun mit ihren Lehrverpflichtungen unter einen Hut bringen will. Sie möchte den Beruf weiter ausüben: „Es ist so vielfältig. Jeder Tag ist anders und jedes Kind ist anders.“

Eltern bleiben gelassen

Elternsprecherin Andrea Guggenberger (ein im Lesachtal auch ohne Verwandtschaftsverhältnis häufiger Name, Anm.) sieht die Sache derzeit sehr gelassen: „Es ist ein Versuch, man muss sehen, wie es sich entwickelt.“

Ihre elfjährige Tochter lernt bei Klaus Bürger Deutsch: „Ich habe den Eindruck, er kommt mit den Kindern gut zurecht und sie mögen ihn auch. Das Wichtigste ist ohnehin, dass sich die Kinder in der Klasse wohl fühlen und etwas lernen.“

Trotzdem bekam der Sprachwissenschafter einen „Aufsichtslehrer“ zur Seite gestellt. Kollegen hatten sich bei Landes- und Bezirksschulrat beschwert, dass in seiner Klasse „nichts weiterginge“. Daher gibt es jetzt drei Lehrkräfte gleichzeitig im Deutschunterricht.

Die Zahl der Lehrkräfte in Österreich reicht längst nicht mehr aus. Immer öfter springen Studenten und Quereinsteiger aus anderen Studienrichtungen ein. Waren es im Jahr 2011 noch 390, sind es mit November 2012 bereits mehr als 700, die ohne abgeschlossene pädagogische Ausbildung unterrichten dürfen.

Allein in Wien sind derzeit rund 400 Stellen von Lehramtsstudenten besetzt. Die meisten davon entfallen auf Wiener Volksschulen, an denen derzeit 189 Studenten unterrichten. 73 sind an den Hauptschulen angestellt, 93 an den AHS. Die restlichen Lehrer-Planstellen verteilen sich auf Sonderschulen, Polytechnische Schulen und berufsbildende mittlere und höhere Schulen. Im Gegensatz dazu werden in Niederösterreich nur in den Bundesschulen Lehrer ohne abgeschlossene Ausbildung eingesetzt. Laut Landesschulrat unterrichten in den Höheren Schulen derzeit 258 Studenten mit Sondervertrag.

In den westlichen Bundesländern sind die Zahlen deutlich geringer. So unterrichten in Vorarlberg sechs Personen mit nicht abgeschlossener pädagogischer Ausbildung, in Tirol und den Neuen Mittelschulen Kärntens rund zwölf Personen. In OÖ, Salzburg und der Steiermark ist der Einsatz von Lehramtsstudenten kein Thema. Stattdessen wird vor allem in Salzburg verstärkt mit Quereinsteigern gearbeitet. „Die werden in der berufspäda­gogischen Akademie in Linz ausgebildet“, sagt ein Sprecher des Landesschulrats.

(von Carina Pürer)

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