Österreicher verlieren Sparbücher im Wert von 100 Millionen

Geht ein Sparbuch verloren, müssen Gerichte Besitzer oder Erben ausforschen und legitimieren. Geht es ums Erbe, gibt es häufig Streit.
Zu gut versteckt oder gestohlen: Bei Sparbuch-Verlust eruieren Gerichte Besitzer oder Erben. Das Ersparte wird "eingefroren".

Alleine in diesem Jahr suchen bundesweit mehr als 100 Millionen Euro Sparbuch-Einlagen ihre rechtmäßigen Besitzer. Diese enorme Summe gilt als sicher; Experten sprechen sogar von noch höheren Beträgen.

Das Millionenvermögen wird "herrenlos", weil Tausende Sparbücher pro Jahr verloren gehen, gestohlen oder verlegt werden und manchmal sogar verbrennen. Auch bei Todesfällen finden Angehörige die Bücher oft nicht. Viele Senioren verstecken ihre Spar-Dokumente mit viel Fantasie. Die Erben wissen, dass die Bücher irgendwo sein müssen, finden sie aber nicht.

In solchen Fällen werden Gerichte für Zivilrecht, Bankinstitute und Besitzer sowie eventuelle Erben aktiv. Gerichte erklären das gesuchte Sparbuch vorerst für "kraftlos". Somit ist auch ein Zugriff auf das Ersparte nicht möglich. Bis der rechtmäßige Besitzer eruiert ist, dauern diese Verfahren bis zu einem Jahr. So lange wird das Angesparte "eingefroren" (Details siehe Artikel unten).

Hinter den Kulissen der Landesgerichte geht es bei den Kraftloserklärungen jedoch um enorme Summen. So sind 2014 alleine in Wien 810 Verfahren anhängig.

"Diese 810 Akten bestehen gesamt aus mehr als 4000 Sparbüchern, die noch zugeordnet werden müssen (dem KURIER liegen Teil-Auszüge vor). In einem Fall geht es sogar um 80 Bücher, die verschollen sind", bestätigt Andreas Grieb vom Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen. Der langjährige Sparbuch-Richter rechnet penibel vor: "Im Schnitt ordnen wir jedem einzelnen Sparbuch 14.000 Euro zu. Multipliziert mit 4000 macht das satte 56 Millionen Euro vorerst herrenloses Geld aus." Wohlgemerkt gilt diese Summe nur für Wien. Grieb: "Österreichweit geht es sicher um mindestens 100 Millionen. Ich glaube aber an noch höhere Beträge."

Millionen am Sparbuch

Österreicher verlieren Sparbücher im Wert von 100 Millionen
A. Grieb
Wie viel Geld so mancher Österreicher auf seinen Sparbüchern deponiert hat, zeigt der Rekordfall einer Kraftloserklärung. Vor einigen Jahren ging es am Landesgericht Wien, unter dem Vorsitz von Richter Grieb, um 6,2 Millionen Euro: "Der Besitzer ist verstorben. Die Familie wusste von dem Vermögen auf den Sparbüchern, konnte die Dokumente aber nicht finden." Also blieb nur der Weg zum Zivilgericht, um die Millionen auch zuzuordnen und das Vermögen für die Erben zu sichern.

Und wenn es um so viel Geld geht, sind Emotionen der logische Begleiter. Denn die meisten Inhaber der verschollenen Sparbücher fordern den möglichst raschen Zugriff auf ihr Erspartes oder ihr Erbe. Beatrix Engelmann, Vizepräsidentin des Wiener Landesgerichtes für Zivilrecht, kennt besondere Härtefälle: "Vor allem wenn Personen besachwaltet werden und die Sparbücher nicht auffindbar sind. So manche Angehörige glauben dann, dass das Geld verloren ist. Da kann es schon zu Gefühlsausbrüchen kommen."

Auch die Konsumentenschützer der Arbeiterkammer (AK) werden immer häufiger mit Kraftloserklärungen konfrontiert. Christian Prantner, Chef der AK-Finanzdienstleistungen, kennt die Probleme: "Die Institute werden beim Nachweis der Legitimität immer vorsichtiger. Zusätzlich gibt es immer mehr Fälle. Denn auch Sparer werden älter und somit vergesslicher. Eine Kraftloserklärung kann familiär zu einer heiklen Sache werden."

Die Banken behandeln das Thema eher defensiv, bieten den Sparern und Angehörigen aber jedes Service an. Peter Wesely, Sprecher der Raiffeisen-Landesbank NÖ-Wien: "Wir hatten heuer 32 Fälle. Kunden und Angehörige, die Infos und Hilfe brauchen, bekommen in unseren Filialen jede Unterstützung. An die Bank fällt das Ersparte jedenfalls nicht."

Bleibt die Frage nach dem skurrilsten Versteck von Sparbüchern. Vor Kurzem fand in Wien ein Rauchfangkehrer in einem Kamin drei Sparbücher. Er gab sie bei der Polizei ab, Gerichtskommissäre suchen bereits nach dem Inhaber oder dessen Erben.

Wenn Sparbücher und/oder Lebensversicherungen verlegt oder gestohlen wurden, verbrannt oder verschwunden sind – etwa weil sich Inhaber an das Versteck nicht mehr erinnern können oder wollen – muss das Sparbuch über Gerichte freigegeben werden. Dafür erstellt das Bankinstitut – nach einer Verlustmeldung – gemeinsam mit dem Inhaber, oder nach einem Todesfall mit den möglichen Erben den Antrag zum Kraftloserklärungsverfahren bei den Landesgerichten für Zivilrechtsangelegenheiten. Banken helfen, denn sie haben die Daten der Spardokumente gespeichert.

Dieser Antrag wird an das Gericht weitergeleitet, welches ein Edikt im Amtsblatt veröffentlicht. Meldet sich innerhalb von sechs Monaten kein rechtmäßiger Eigentümer, der Einspruch erhebt, ergeht ein Beschluss, der die Freigabe des Guthabens ermöglicht.

Das Ersparte wird dann zuzüglich Zinsen, jedoch abzüglich der Gerichtsgebühren ausbezahlt. Die Gebühren können je nach Guthaben auch mehrere hundert Euro ausmachen. Der gesamte Prozess von Verlustmeldung bei der Bank bis zur Verfügung über das Geld kann zwischen einem dreiviertel- und einem Jahr dauern. Eine Kraftloserklärung stellt nur rechtmäßige Inhaber des Dokumentes fest. Bei Streit um das Erbe urteilen Bezirksgerichte.

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