Lauschangriff & Co. im Vormarsch

Österreichweit werden Tag für Tag 21 besondere Ermittlungsmethoden genehmigt.
Die Justiz greift vermehrt in die Persönlichkeitsrechte ein, das Ergebnis ist aber dürftig.

Felix Hnat hebt am Telefon ab. "Hört jemand mit?", geht im sofort durch den Kopf. Hnat kann dieses Gefühl nicht mehr abschütteln, seit eine Sonderkommission im Zuge der Ermittlungen gegen Tierschützer ihn und andere nach allen Regeln der Kunst ausspioniert hat. Die Maßnahmen reichten von Telefonüberwachungen bis hin zu einem Spitzel (siehe unten). Am Ende der beiden "Tierschützerprozesse" standen Freisprüche – und bei den Angeklagten ein Gefühl, das Hnat so beschreibt: "Mein Urvertrauen in den Staat und in die Menschen ist tief erschüttert."

Der Staat hat ein umfangreiches Instrumentarium, um Kriminelle auszuforschen. Und er nutzt es immer exzessiver, obwohl sich in einer Vielzahl an Fällen der Verdacht letzten Endes nicht erhärtet. Ein Beispiel: Von 2008 bis Ende 2013 genehmigten Richter den Staatsanwälten in 18.280 Fällen, durch Handys, eMail oder das Internet gespeicherte Daten bei Betreibern abzufragen. Das Ergebnis ist dürftig: In weniger als einem Viertel der Fälle mündet das Verfahren in einer Verurteilung, ebenso wie beim Mitschneiden von Handygesprächen (635-mal) und beim Mitlesen von eMails (9619-mal). Andere Ermittlungsmethoden schneiden noch schlechter ab. Lauschangriffe mit Videokameras (617-mal) führten gar nur in jedem sechsten Fall zu einer Verurteilung. 17.300 Hausdurchsuchungen fanden statt, ein Drittel führte zu einer Verurteilung.

Richter entscheidet

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts Wien, hat trotz dieser Statistiken keine rechtsstaatlichen Bedenken. Seit 2008 gebe es eine engmaschige Kontrolle wie nie zuvor. Nicht jede von der Polizei gewünschte Maßnahme werde vom Staatsanwalt aufgegriffen. Tut er es doch, muss er minutiös begründen, weshalb er beim Gericht eine Hausdurchsuchung oder Überwachung beantragt. Dadurch werde schon viel ausgefiltert. Dann sind die Richter am Zug, die wenig bemängeln.

Lauschangriff & Co. im Vormarsch
18.01.2013, Wien, Landesgericht für Strafsachen

Im Jahr 2011 etwa wurden 98,6 Prozent der Anträge auf Überwachung und Übermittlungen von Nachrichten wie eMails genehmigt, weil der Verdacht ausreichend war. Dieser muss laut Forsthuber nicht so dringend wie bei der Verhängung der U-Haft sein und kann sich nach Hausdurchsuchung oder Überwachung wieder zerstreuen. "Der Zund, den die Polizei bekommen hat, war falsch. Oder der Überwachte hat mitbekommen, dass er abgehört wird", sucht der Klagenfurter Richter Manfred Herrnhofer nach Gründen.

Überprüfung gefordert

Österreichweit werden Tag für Tag 21 besondere Ermittlungsmethoden genehmigt. Angesichts der raren Verurteilungsraten sei das zu oft, sagt Nikolaus Scherak, Menschenrechtssprecher der Neos, der die Zahlen aus dem Justizressort erfragt hat.

Lauschangriff & Co. im Vormarsch
APA15344746-2 - 30102013 - WIEN - ÖSTERREICH: THEMENBILD-PAKET - Nationalratsabgeordneter Nikolaus Scherak (NEOS) am Montag, 28. Oktober 2013, im Rahmen eines Fototermins im Parlament in Wien. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER

"Man greift weit in die Privatsphäre ein", sagt er, und fordert eine Evaluierung der Praxis. Für ihn ist es denkbar, dass die Verdachtslage zukünftig "stärker sein muss". Auch die Strafrechtsprofessorin Susanne Reindl-Krauskopf warnt davor, die Instrumente ohne gefestigte Grundlagen einzusetzen, so nach dem Motto: "Schauen wir einmal, ob wir nicht doch was finden." Es liege am Richter, der für seine Entscheidung weitere Beweisaufnahmen anordnen kann.

Regional handhaben das Gerichte unterschiedlich: In Oberösterreich gehen die Richter mit Genehmigungen sparsamer um. Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer berichtet, dass sich die Polizei vermehrt beschwert, wenn für Ermittlungsmethoden kein grünes Licht gegeben wird.

Lauschangriff & Co. im Vormarsch

Wer den von Ermittlern zusammengetragenen Aktenberg sieht, müsste glauben, Felix Hnat war einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Ein Jahr lang hörten Ermittler mehr als 10.000 Gespräche des später freigesprochenen Tierschützers mit. Alleine die Kosten dafür betrugen 200.000 Euro. Ansonsten wurde er observiert, vor Gebäuden und in Wohnungen geheim gefilmt, mittels GPS-Sender an seinem Auto verfolgt und im Internet ausspioniert.

Seit sechs Jahren ist Hnat, der offen über seine Situation spricht, in Psychotherapie. „Ich zwinge mich zur Offenheit“, erklärt der 32-jährige Umweltökonom. Die Alternative wäre ein Dasein als „Einsiedler“. Die Ermittler lasen seine Tagebücher, seine niedergeschriebenen Gedanken, hörten mit, wenn er mit seiner Freundin stritt oder mit ihr intim war. Sein „Urvertrauen“, das „Vertrauen in die Schriftlichkeit und in die Menschheit ist erschüttert“, sagt er. Er schafft es nicht mehr, ein Tagebuch zu führen. Zu groß ist die Angst, dass sein Innerstes in die falschen Hände gerät. „Früher glaubte ich, es gibt das Recht auf freie Gedanken, die geheim sind. Sie sind aber weder frei noch geheim.“

Lauschangriff & Co. im Vormarsch

Als er erfuhr, dass sich jene Aktivistin, mit der er ein Verhältnis hatte, als Polizeispitzel in den Verein gegen Tierfabriken eingeschlichen hatte, war er „im Schockzustand. Das war ein erschütterndes Erlebnis.“ Unweigerlich wurde mit Hnat auch dessen Freundin abgehört. Auch sie war schockiert. Der 32-Jährige gehört zu den Kritikern der in seinem Fall ausufernden Ermittlungsmethoden: „Die Selbstverständlichkeit, mit der das erlaubt wird, macht mir Angst.“

Kommentare