Im Strafvollzug regiert der Proporz

Im Strafvollzug regiert der Proporz
Gefängnisexperte kritisiert parteipolitischen Einfluss auf Besetzungen.

Der langjährige Gefängnischef und Ausbildner von Justizwachebeamten, Wolfgang Gratz, resümiert in einer Studie zur Reform des Strafvollzugs: "Betrachtet man das Ausmaß an Vernachlässigung der in der Hierarchie ganz unten stehenden Strafvollzugsbediensteten, ist es verwunderlich und höchst anerkennenswert, dass die Insassen nicht mehr vernachlässigt werden als gegenwärtig." Immerhin ist jeder Beamte mehr als 20 Tage jährlich im Krankenstand.

Diese Rückendeckung können die Personalvertreter der Justizwache gut brauchen, wenn sie heute, Freitag, über gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen abstimmen lassen. Im Raum steht die Drohung, "Dienst nach Vorschrift": durch verzögerte Vorführungen der Häftlinge oder eingeschränkte Besuchszeiten den Gefängnisbetrieb zu lähmen.

Über Wochen hatte der Strafvollzug für Schlagzeilen gesorgt: Sie reichten von einem vernachlässigten Insassen in Stein bis hin zu gefilmten Misshandlungsszenen in Suben. Die Personalvertreter wenden sich heute mit einer Resolution an die 3200 Exekutiv- und rund 800 Verwaltungsbeamten. Die Kernbotschaft des drei Seiten langen Papiers, das dem KURIER vorliegt, fasst Albin Simma, der oberste Gewerkschafter der Justizwache, so zusammen: "Wir brauchen mehr Geld und mehr Personal." Die hundert Planstellen, die nun genehmigt wurden, seien nur "ein Tropfen auf den heißen Stein".

Im Strafvollzug regiert der Proporz
Kriminologieprofessor Wolfgang Gratz hat neben der Anerkennung für die Arbeit der Justizwache für die Personalvertreter auch eine schlechte Nachricht: Sie verhindern, dass die – nach ihrer Eignung und nicht nach der Fraktion – richtigen Leute an den richtigen Plätzen sitzen. In keinem anderen Bereich verfügen sie laut Gratz über so viel Macht, "bei der Besetzung von Anstaltsleitungen spielen seit gut zehn Jahren parteipolitische Einflüsse eine merklich gestiegene Rolle." Aber selbst bei niedrigeren Chargen wie Stockchefs oder Leitern von Ausbildungswerkstätten versuchen sie bis ins Ministerbüro hinauf, ihre Leute durchzubringen und blockieren damit Nachbesetzungen. In Innsbruck ist das Spiel sogar den eigenen Leuten zu viel geworden, der Dienststellenausschuss wurde von der Belegschaft abgewählt.

Qualitätskontrolle

Gratz plädiert dafür, den Gefängnischefs mehr Entscheidungsfreiheit auch über das eigene Personal zu geben, sie aber gleichzeitig einer Qualitätssicherung zu unterziehen. Bei Vollzugslockerungen, Beschäftigung der Insassen, Einschlusszeiten und anderen Ergebnissen gibt es zwischen vergleichbaren Gefängnissen in Österreich gravierende Unterschiede, die zu hinterfragen und auf das jeweils höhere Niveau anzuheben sind.

Für Gratz ist ein persönliches Gespräch pro Monat zwischen jedem Insassen und dem Abteilungskommandanten die Mindestvoraussetzung für gute Betreuungsarbeit. "Bei Jugendlichen wäre das ein Mal pro Woche sinnvoll. Wenn ein Erwachsener schon zum 17. Mal in die Anstalt kommt, reicht es wahrscheinlich alle drei Monate."

Einig sind sich Gratz und Gewerkschafter Simma in einem Punkt: Es müssen Betreuungsrichtlinien erarbeitet werden. Mit Justizminister Wolfgang Brandstetter kann sich die Personalvertretung in zwei Punkten verständigen: Für jugendliche Häftlinge braucht es eine eigene Anstalt. Der zweite Punkt betrifft psychisch kranke Insassen (die sogenannte Maßnahme). Die Gewerkschaft will sie ganz aus den Gefängnissen draußen haben. Der Minister will zumindest den Betreuungsaspekt stärken, erklärte er in einem KURIER-Interview. Umgesetzt werden könnte das mit einem für Gefängnisse völlig neuen Berufsbild – sogenannte diplomierte Sozialbetreuer.

Die Gewerkschaft der Justizwache lässt ihre Mitglieder abstimmen, ob sie die Kampfmaßnahme "Dienst nach Vorschrift" mittragen. Klingt harmlos, bedeutet aber: Nur was auf dem Papier steht, ohne Fleißaufgaben und Eigeninitiative, die Gefangenen bleiben noch mehr sich selbst überlassen. Und die Gewerkschaft fängt auch gleich damit an: Die Auszählung der Stimmen kann nicht mehr heute erfolgen, weil am Freitag um 13 Uhr Dienstschluss ist. Selbst wenn es ums eigene Leiberl geht, gilt also: Vurschrift is Vurschrift.

Bei allem Verständnis für die enorme Belastung, dem das Personal im Druckkochtopf Gefängnis ausgesetzt ist: Genau diese Mentalität blockiert seit Jahrzehnten den Versuch, den Strafvollzug ins dritte Jahrtausend zu führen. Solange bestimmte Gewerkschafter nur ihre Parteigenossen in Führungspositionen reklamieren, statt die qualifiziertesten Kollegen zum Zug kommen zu lassen (und solange Justizminister darauf hören), so lange haben Leute wie der Vorsitzende des Dienststellenausschusses in Stein das Sagen. Harald Gerstl trauert der Zeit von Wasser und Brot für die Häftlinge nach und nennt das Gefängnis eine Verwahrungsanstalt, die es auch bleiben werde. Und so lange wird der Strafvollzug nicht aus den negativen Schlagzeilen herauskommen.

Wer Albin Simma in diesen Tagen zuhört, der tut sich schwer zu glauben, dass hier der oberste Justizwachegewerkschafter spricht. Wer, wenn nicht Wachebeamte, sollten Regeln punktgenau einhalten. Simma sagt aber: "Wir begehen täglich Übertretungen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten." So werden Häftlinge immer häufiger nur von einem Beamten zum Prozesstermin begleitet, während die Vorführung durch zwei Beamte früher die Regel war.

Verantwortlich dafür seien der akute Personal- und Geldmangel. Es ist nicht das einzige Defizit: Kaum eine Woche vergeht derzeit, in der der Vollzug für keine negativen Schlagzeilen sorgt. In Stein etwa ließ man einen psychisch kranken Häftling verwahrlosen; ein Video aus Stuben zeigt, wie ein Häftling von einem Beamten misshandelt wird; ein Suizidfall warf zuletzt Fragen zur Betreuungsqualität auf.

Im Strafvollzug regiert der Proporz
Justizgewerkschafter Albin Simma
Die Personalvertreter wollen die für kommenden Donnerstag fixierten Dienststellenversammlungen dazu nutzen, die Beamten aufzubauen. "Wir wollen den Kollegen vermitteln, dass wir nicht so schlecht sind, wie es in den Medien steht", sagt Simma. Es sei nicht das "falsche Personal, sondern zu wenig". Häftlinge wüssten den medialen Druck, der sich aufgebaut habe, zu nutzen: "Es gibt eine regelrechte Erpressungswelle. Insassen sagen Beamten, wenn du das nicht tust, geh’ ich zur Zeitung". In der Vollzugsdirektion kann man eine signifikante Häufung solcher Fälle auf Anfrage nicht bestätigen.

In dieser tristen Lage will nun die Justizgewerkschaft den Aufstand proben: Die Personalvertretung will mit einer Abstimmung ausloten, ob ihre Kollegen "gewerkschaftliche Maßnahmen" mittragen.

Von Streik ist nicht die Rede. Die im Raum stehende Drohung heißt "Dienst nach Vorschrift", klingt eher harmlos, würde aber Teile des Justizapparates massiv einschränken. "Dann steht der Häf’n still", prophezeit Simma (FCG). Besuche von Verwandten und Vorführungen, etwa der Insassen zu ihren Anwälten, würden sich verzögern oder gar nicht möglich sein. Die Grundversorgung der Häftlinge sei allerdings nicht betroffen, stellt er klar.

"Es wird viel von Reformen geredet. Wir sehen aber keine Entlastung, kein Licht am Ende des Tunnels", sagt Simma. Als Beispiel nennt er etwa die hundert neuen Beamten, die zwar zugesagt, aber "noch nicht einmal budgetiert", seien.

Die meisten Strafverteidiger stehen hinter der Justizwache: "Die psychische Belastung ist extrem hoch", bricht Eduard Salzborn für die Beamten eine Lanze: "Die sind genauso eingesperrt, mit dem Unterschied, dass sie abends heimgehen dürfen." An manchen Tagen würden seiner Erfahrung nach in der Justizanstalt Josefstadt bis zehn Uhr am Vormittag bereits 150 Häftlinge zum Gespräch mit den Anwälten oder zu Einvernahmen vorgeführt.

Drei Beamte sind normalerweise dafür abgestellt, laut Strafverteidiger Alexander Philipp bleibt der Ansturm aber häufig an einem hängen. Wenn Personal fehlt, kommt es zu Wartezeiten.

Brief an Minister

Die unbegrenzte und rechtzeitige Vorbereitung des Prozesses mit dem Verteidiger ist für jeden Beschuldigten ein Grundrecht. Anwalt Sebastian Lesigang würde im Ernstfall darauf pochen und beim Richter eine Verschiebung der Verhandlung verlangen. Verzögerungen und längere U-Haftzeiten sind die Folge.

30 Wiener Strafverteidiger haben Justizminister Wolfgang Brandstetter deshalb in einem Brief aufgefordert, für personelle Aufstockung zu sorgen. Anwalt Salzborn sieht auch Finanzminister Michael Spindelegger gefordert: "Es ist unerträglich, dass die notwendigen Mittel nicht freigegeben werden."

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