HCB-Opfer wollen 110 Millionen

Die Forderungen der Görtschitztaler haben sich erweitert: es geht auch um Schadenersatz
400 Betroffene gehen nach Umweltskandal gegen Republik Österreich und Zementwerk vor.

Ein juristisches Nachspiel hat nun die Kontaminierung des Kärntner Görtschitztals mit dem Umweltgift Hexachlorbenzol (HCB). 400 Betroffene fordern insgesamt 110 Millionen Euro Schadenersatz. Die Sammelklage wird noch im Februar eingebracht und richtet sich gegen das Zementwerk sowie die Republik Österreich als Haf-tungsträger des Landes Kärnten. Eine Klagslawine in dieser Größenordnung bedeutet für das südlichste Bundesland eine Premiere.

"Die Finanzierung der Sammelklage steht. Wir konnten Experten aus dem Bereich Abfallwirtschaft und einen renommierten Umweltmediziner gewinnen, die uns in dem komplexen Fall unterstützen. Wir versprechen der betroffenen Bevölkerung, dafür zu kämpfen, dass ausreichend Schadenersatz zuerkannt wird", kündigt der Wiener Rechtsanwalt Wolfgang List an.

Auch Behörde im Visier

Der Wietersdorfer Zementwerke GmbH (w&p) wird der grob fahrlässige Betrieb der Anlage vorgeworfen. "Im Abfallwirtschaftsgesetz ist geregelt, dass Schadstoffe wie der mit HCB kontaminierte Blaukalk in einer dafür geeigneten Anlage thermisch oder chemisch-physikalisch behandelt werden müssen. Das ist nicht geschehen", betont List. Verantworten wird sich auch die Landesbehörde müssen. Der Landeshauptmann (damals Gerhard Dörfler, Anm.) als zuständige Abfallwirtschaftsbehörde habe erst eine rechtswidrige Genehmigung zur Blaukalk-Verwertung erteilt und es in der Folge verabsäumt, den Schadstoffausstoß zu überwachen, lautet der Vorwurf.

Ob die Sammelklage auf die Donau Chemie und "ein weiteres Unternehmen" ausgeweitet werde, steht laut dem Juristen noch nicht fest.

Die Anwälte des w&p-Werks wollen ihr Unternehmen aus der Schusslinie nehmen und den Schwarzen Peter der Donau Chemie zuschieben: Dies mit der Begründung, dass Chargen ohne Gefahrenhinweis, also als frei von CKW (Chlorkohlenwasserstoffe, Anm.) angeliefert worden seien, obwohl sie tatsächlich belastet gewesen seien. Dieser falsch deklarierte Stoffstrom habe zum HCB-Ausstoß geführt. Die Juristen der Donau Chemie argumentieren, eine Differenzierung der Chargen in unterschiedliche Belastungen mit HCB oder CKW sei zwischen den Geschäftspartnern nie vereinbart worden. "Sämtliche Kalkschlämme der Deponie waren entsprechend der Bescheidvorgaben ausnahmslos bei 850 bis 1100 Grad in den Wärmetauscher einzubringen", heißt es. Und dies sei nicht passiert.

Kein Ende absehbar

Parallel zum Zivilrechtsverfahren ermittelt seit mehr als einem Jahr die Staatsanwaltschaft Klagenfurt. Die Untersuchungen würden sich gegen das Zementwerk als möglichen Verursacher für den Austritt des Umweltgiftes sowie gegen unbekannte Täter richten, erklärt Sprecher Markus Kitz. Es bestehe der Verdacht der fahrlässigen Beeinträchtigung der Umwelt, des fahrlässigen umweltgefährdenden Behandelns und Verbringens von Abfällen und des grobfahrlässigen umweltgefährdenden Betreibens von Anlagen. "Ein Ende der Ermittlungsarbeit ist nicht absehbar, ein Ergänzungsgutachten steht noch aus", sagt Kitz.

Seit Jahren leidet das Görtschitztal unter der Abwanderung der Einwohner, in manchen Gemeinden betrug der Bevölkerungsschwund bis zu 18 Prozent in den vergangenen 13 Jahren. Experten rechneten damit, dass sich der Trend durch den HCB-Skandal verstärken würde. Doch im Zentrum des Skandals, in Klein St. Paul, verzeichnet man aktuell sogar einen Bevölkerungsanstieg.
Um 1,2 Prozent oder 23 Menschen wuchs die Einwohnerzahl in Klein St. Paul im vergangenen Jahr – obwohl dort mit dem Zementwerk der Verursacher des Umweltskandals steht und obwohl dort stets hohe HCB-Werte registriert wurden. „Für mich ist dieses Plus, das übrigens nicht auf die Aufnahme von Asylwerbern zurückzuführen ist, nicht überraschend“, sagt die Bürgermeisterin von Klein St. Paul, Gabriele Dörflinger (SPÖ). „Das Zementwerk hat sich nicht um die Verwertung des Blaukalks beworben und keine Region in Österreich wird so exakt kontrolliert wie das Görtschitztal. Die Bevölkerung fühlt sich sicher.“

"Kein Preisverfall"

Das Argument, dass die Menschen aufgrund eines Preisverfalls ihre Häuser und Liegenschaften unterm Wert verkaufen müssten, lässt sie nicht gelten. Dörflinger: „Damit hat das nichts zu tun. Ich habe das von Immobilienmaklern prüfen lassen: Die Preise sind marktüblich, es gibt keinen Preisverfall.“
Auch in anderen Gemeinden im Görtschitztal sind keine Abwanderungstendenzen zu bemerken, die mit HCB in Verbindung gebracht werden könnten. „Ein Bevölkerungsrückgang ist seit 2002 gegeben, aber es gibt seit 2014 keinen Sprung, keinen Ausreißer“, sagt Landes-Statistiker Wolfgang Weghofer.

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