Finanz kam mit dem Schlüsseldienst

Die Beamten durchwühlen die vorhandenen Unterlagen. Eine Rechnung erweckt ihr Interesse – die Firma dürfte auf einer Baustelle in Wien-Leopoldstadt aktiv sein.
Durch Scheinfirmen am Bau entsteht jährlich ein Schaden von 200 bis 300 Millionen Euro.

Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei, findet klare Worte: "Das ist so, als würde ich ein Loch in die Nationalbank schlagen." Lehner hat nicht vor, die Geldreserven zu plündern – er ist auf der Spur der "Einbrecher".

In dem Fall sind das Scheinfirmen: Vor allem in der Baubranche sind sie ein Problem. Geschätzte 300 werden jährlich gegründet; ein Gutteil in Wien. Sie verursachen jährlich geschätzte 200 bis 300 Millionen Euro Schaden – allein durch entgangene Lohn-, Einkommens- sowie Umsatzsteuer und durch fehlende Sozialversicherungsbeiträge.

Die Belastung für den Staatshaushalt erhöht sich noch um ein Vielfaches, wenn man die Nachwehen mitrechnet: Denn Arbeiter dieser Scheinfirmen – oft haben sie Migrationshintergrund – haben Anspruch auch Familienbeihilfe und Arbeitslosengeld. Und die Zeiten werden an die Pension angerechnet.

Hausbesuch

Fünf Finanzpolizisten und der Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes stehen am Freitag vor der Tür und warten auf Einlass in ein Wohnhaus in Wien-Wieden. Hier soll eine Baufirma ihren Sitz haben. Die Beamten wollen herausfinden, ob sich hier tatsächlich ein Büro oder nur ein Briefkasten befindet. Und sie wundern sich nicht, dass niemand auf das Klingeln reagiert. Eine Bewohnerin, die gerade das Haus verlässt, löst das Zutrittsproblem. Zumindest kurzzeitig, denn der Eingang zur Firma im Innenhof ist ebenso verschlossen. Klingel: Fehlanzeige. Klopfen: keine Reaktion. Der Mann vom Schlüsseldienst hat seinen Auftritt.

Finanz kam mit dem Schlüsseldienst
Kontrollgang der Finanzpolizei, Wien am 26.06.2015
Schließlich öffnet sich die Tür. Die Finanzpolizisten sind auf alles gefasst: Auf einen scharfen Wachhund, ein Liebespaar oder ein Besenkammerl. Alles haben sie schon erlebt. Ein echtes Büro, wie hier in Ansätzen vorhanden, ist fast die Ausnahme: Ein abgestecktes Telefon, fast leere Bürotische. Jede Menge Aktenordner am Boden. Eine Büchersammlung über "Geschäftsführer-Haftung" und ein Buch mit dem Titel "Zahltag". Und irgendwo darunter ein Karton mit Schriftstücken.

Der interessiert die Beamten besonders. Lohnzettel sind darunter – auch für einen Maurer in Teilzeit. "Das ist genauso wahrscheinlich wie ein Teilzeit-Erntehelfer", schüttelt Lehner den Kopf. Dazu kommen Rechnungen, Pass-Kopien, Provisionsvereinbarungen und Hinweise auf eine aktuelle Baustelle.

Auf die sind die Ermittler jetzt neugierig: "Irgendwer muss ja dort arbeiten." Die Unterlagen werden beschlagnahmt. Die Truppe macht sich auf den Weg zur Baustelle in Wien-Leopoldstadt.

Tatsächlich: Ein Aushang im Gangbereich verweist auf die gesuchte Firma. Sie sorgt hier für den Dachgeschoß-Ausbau, den Lift-Zubau und eine Wohnungssanierung. Vier Stockwerke höher (der Lift fehlt noch)treffen die Beamten sogar auf den Geschäftsführer. "Es wäre hilfreich gewesen, wenn Sie auf unsere Briefe geantwortet hätten", begrüßt ihn Lehner. Die Antwort ist knapp: "Welche?"

Schwarzarbeit

Finanz kam mit dem Schlüsseldienst
Kontrollgang der Finanzpolizei, Wien am 26.06.2015
Fünf Arbeiter sind am Werken. Sie werden kontrolliert. Unter ihnen befindet sich ein Mazedonier. "Es ist nicht so einfach, dass jemand aus Mazedonien hier arbeitet. Da geht es ums Ausländer-Beschäftigungsgesetz", stellt der Leiter der Finanzpolizei fest. Ein potenzieller Schwarzarbeiter bei einer potenziellen Scheinfirma. Auch ein weiterer Arbeiter soll die Beamten an diesem Tag noch beschäftigen: Er kann sich nicht ausweisen. Der Ausflug auf die Baustelle hat sich gelohnt.

Schadensbegrenzung

Auf die Firma stießen die Ermittler im Zuge ihrer Risiko-Analyse: "Die Unternehmen werden zum Teil schon Jahre zuvor gegründet", erklärt Lehner. "Für uns werden sie erst interessant, wenn sie aktiv werden." Sprich: Wenn plötzlich viele Arbeitnehmer bei der Gebietskrankenkasse gemeldet werden. "Wenn eine Firma aus dem Nichts heraus zu expandieren beginnt, schauen wir uns das vor Ort an."

Mehr als Schadensbegrenzung ist aber in vielen Fällen nicht drin. Denn oft sind die Namen der Geschäftsführer frei erfunden. "Zumindest können wir die Firma dann vom Markt nehmen, indem wir einen Eintrag im Firmenbuch machen und die Steuernummer ruhend stellen", erklärt Lehner. Die kriminellen Hirne dahinter sind selten zu fassen. "Wenn wir eine Firma zusperren, ziehen sie zur nächsten."

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