Ein Unangenehmer geht ins Ausland

Norbert Ceipek erfand die Drehscheibe für Straßenkinder in Wien. Europa ist ihm gefolgt
Norbert Ceipek, Vater der Straßenkinder, über IS-Flaggen unter der Matratze und seinen Neustart in Bulgarien.

Norbert Ceipek ist ein Mann der klaren Worte. Und damit eckte er schon oft an. Der Leiter der Organisation "Drehscheibe", die sich um ausländische Kinder und Jugendlichen kümmert, die in Wien aufgegriffen werden, hat sich mit seinen Aussagen auch Feinde geschaffen – was unter anderem dazu führte, dass er im Vorjahr mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert wurde. Oder dazu, dass seine Autoreifen zerstochen und die Radmuttern gelockert wurden. Ende März zieht sich der 63-Jährige zurück. Er geht in Pension. Ein (vorläufiger) Abschied – wie gewohnt, mit deutlichen Aussagen.

Herr Ceipek. Die Probleme auf Wiens Straßen lösen sich nicht in Luft auf. Fällt ihnen der Abschied in die Pension da so einfach?

Ein Unangenehmer geht ins Ausland
Roma-Siedlung
Norbert Ceipek:Das Ende ist nah für mich (lacht). Ich bin froh, dass ich dann freier agieren kann und nicht ständig gemaßregelt werde. Aber mir wird nicht fad. Ich fange neu an. Ich werde Österreich verlassen und nach Bulgarien gehen. Ich werde dort ab Mai mit Sozialarbeitern arbeiten, ich soll eine beratende Tätigkeit ausführen – nach Absprache mit Ministern und dem Polizeipräsidenten. Es wird Schulungen für Sozialarbeiter geben, ihr Image soll gestärkt werden. Sie brauchen Hilfe. Ich kenne die Gegebenheiten vor Ort. Es braucht Unterstützungsangebote für arme Roma-Familien vor Ort. Diese Arbeit dauert lange. Aber sie trägt Früchte.

Wie passend. Sie sind im März in Sofia.

Vor meiner Pensionierung kamen plötzlich noch unzählige Einladungen aus dem Ausland herein. In Sofia bin ich bei einem Präventionsprojekt, das die Schweiz mit Bulgarien machen will. Auch hier geht’s um Roma-Kinder. Aber es sind auch Einladungen aus anderen Ländern gekommen. Nur: Das Thema gibt’s schon lange, geförderte Studien und Bücher auch. Aber damit hilft man keinem Kind. Das ist alles für die Fisch’. Es sollte die Arbeit beginnen.

Ist die Drehscheibe voll wie immer?

Wir haben zehn Plätze, sind aber mit 13 bis 15 Jugendlichen belegt. Noch weit mehr Kinder müssen wir in anderen Krisenzentren unterbringen. Durch die syrischen Kriegskinder ist Not am Mann. Diese Kinder, die jüngsten sind 11, kommen alleine und sind schwer traumatisiert.

Wie werden die Jugendlichen betreut?

Sie brauchen Psychotherapie und Einzelgespräche. Am Anfang sind sie relativ verschreckt. Aber die Kinder, die schon da sind, helfen. Sie erklären ihnen zum Beispiel die Hausregeln. Im Bedarfsfall kaufen wir auch Studenten zu, die übersetzen. Wir sind die einzige Einrichtung, die für diese Kinder da ist. So etwas sollte es in jeder Stadt geben. Das kostet, spart aber Folgekosten. Sie kommen sofort in Deutsch-Kurse. Und sie werden in Wien eingeschult. Wir versuchen ihnen zu erklären, dass sie nur übers Lernen eine Zukunft haben.

Der IS ist nicht nur in Syrien präsent. Auch in Österreich wird radikalisiert. Kommen Ihre Jugendlichen in Wien damit in Berührung?

Dass hier radikalisiert wird, wissen wir schon seit zwei Jahren. Und wir haben schon damals Alarm geschlagen. Wir haben damals unter den Matratzen der Jugendlichen IS-Flaggen gefunden. Die Burschen mussten sie nehmen, sonst hätte man sie geschlagen. Wir haben sofort den Verfassungsschutz verständigt, ihm die Moscheen genannt, wo radikalisiert wird. Drei waren das. Aber die haben uns gesagt: ,Solange nichts passiert, passiert nichts.‘ Die konnten nicht einschreiten."

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Roma-Siedlung
Warum funktioniert die Radikalisierung gerade bei Flüchtlingen so einfach?

Das Problem ist: Die hängen in der Luft. Sie warten jahrelang auf eine Entscheidung. Sie haben keinen Halt. Den bekommen sie dann schnell bei einem Anwerber. Von dem hören sie: ,Ihr gehört zu uns, wir helfen euch. Wir beschützen euch.‘ Und innerhalb weniger Stunden ist das gesickert.

Abgesehen von jungen Kriegsflüchtlingen kümmern Sie sich um Kinder, die zum Stehlen nach Wien geschickt worden sind. Als Sie das Problem der organisierten Roma-Clans angesprochen haben, wurde Ihnen Rassismus vorgeworfen.

Es ist wichtig in diesem Job, die Wahrheit zu sagen. Ich habe aufgezeigt, welche Machenschaften da passieren. Und ich habe auch die Volksgruppe darauf aufmerksam gemacht. Dass ich dafür abgewatscht worden bin, ist mir egal. Ich kann in den Spiegel schauen. Ich kann alles belegen, habe die Akten bei mir. Leute, die mich Rassist nennen, wissen nicht, wie schlecht es diesen Kindern geht. Und manche Organisationen und Parteien lassen sich manipulieren. Die Kinder, die haben ja keine Zukunft. Das verurteile ich. Und da muss auch die eigene Community aufstehen und sagen: ,So geht das nicht!‘"

Sind organisierte Kinderbanden aktuell ein Problem?

Es kommen wieder Gruppen aus Rumänien. Aber nicht nach Wien – die wissen, das ich hier bin und drauf schaue. Sie schicken die Kinder nach Salzburg und Graz zum Betteln und Stehlen. Und ich betone: Diese Kinder sind Opfer. Opfer von Erwachsenen, die durch sie ein Schweinegeld verdienen. Die Kinder gehen für die Clanchefs ja quasi anschaffen. Auf Facebook gibt es Bilder mit einem Tisch voller Geldbündel oder ganze Betten voll davon. Insgesamt gibt es auch 500 bosnische Kinder, die quer durch Europa geschickt werden und stehlen und betteln müssen.

Er kommt immer dann in die Schlagzeilen, wenn es um unbequeme Themen geht: Zurückgelassene Flüchtlingskinder, die organisierte Ausbeutung von Jugendlichen oder Abnahmen bettelnder Kinder. Das bringt sein Job mit sich. Denn Norbert Ceipek ist der Leiter der Drehscheibe – eine Einrichtung der Wiener Jugendwohlfahrt. Unbegleitete, ausländische Kinder, die aufgegriffen werden, landen bei ihm.

Zuletzt wurde er im vergangenen Winter zum Ziel verbaler Attacken: Damals wurde eine ältere Frau mit einem vierjährigen Mädchen beim Betteln aufgegriffen. „Wir haben das Kind von der Polizei bekommen. Eine Stunde später kam der Vorwurf der Bettellobby, wir hätten der Oma das Kind abgenommen.“ Die Frau sei die Großmutter väterlicherseits. „Aber laut Geburtsurkunde war der Vater unbekannt.“ Sie war bereits seit zwei Jahren mit dem Kind unterwegs.

Die leibliche Mutter des Mädchens musste aus Bulgarien anreisen. In Anwesenheit eines Botschaftsangehörigen wurde das Kind übergeben. Und auch die Auflage ausgesprochen, Kontakt mit dem Jugendamt zu halten. „Die Familie wird seither daheim kontrolliert.“

Vorzeige-Modell

Ceipek ist stolz auf seine Drehscheibe. „Das ist meine Erfindung. Und sie gilt in ganz Europa als Vorzeigemodell.“ Was auch damit zusammenhängt, dass er den Kontakt zu Ländern sucht, aus denen viele aufgegriffene Kinder stammen. Und er begleitete die zuständigen Stellen auch dabei, sichere Unterkünfte für die Kinder aufzubauen.

Seit 1977 ist Ceipek Sozialpädagoge. Eigentlich eine Notlösung, denn ursprünglich war er in der Gastronomie. „Gewechselt habe ich der Liebe wegen. Meine erste Frau war Lehrerin. Und ich bin arbeiten gegangen, wenn sie heimgekommen ist“, erzählt er. Mit 63 sucht er sich nun eine neue Herausforderung. Vorher wird aber noch gefeiert. Mit internationalen Gästen. Botschafter aus mehreren Ländern haben ihr Kommen zugesagt.

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