Die sieben letzten Worte Jesu

Die sieben letzten Worte Jesu
Ein Vermächtnis an uns Christen für unsere heutige Zeit. Oder ist Er umsonst gestorben?

"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 22, 39–23, 34)

Eigentlich weiß niemand, was er tut. Die Henker wussten es nicht, die ihn ans Kreuz geschlagen haben. Und auch ihre Hintermänner wussten es nicht.Die Leute, die wieder die Todesstrafe fordern, wissen es auch nicht.Die Regierungen, die Kriege entfesseln, wissen es nicht.Wir alle, die wir mit der Natur uns selber zerstören, wissen es nicht.Auch, dass wir einander gegenseitig töten mit dummen Vorurteilen und bösen Worten, wir wissen es nicht.Was wissen wir überhaupt?Eines Tages werden wir die Erde in einen toten Planeten verwandelt haben, auf dem sich kein Leben, keine Liebe mehr regt.Kein einziger Mensch wird mehr sein, der beten könnte: Vater, vergib ihnen, denn sie wussten nicht, was sie taten.Werden wir so zugrunde gehen: ohne Gebet und Vergebung? Oder werden wir vorher erwachen?Werden wir’s doch noch lernen, zu wissen, was wir tun?Oder ist er am Kreuz umsonst für die Welt gestorben?Vater, gib, dass wir wissen, was wir tun.

"Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23, 35–43)

Nein, das hat er zu keinem Pfarrer oder Bischof, zu keinem Direktor oder Minister, das hat er zu einem Kriminellen gesagt, der selber zugeben musste: "Ich bekomme, was meine Taten wert sind."Vielleicht ist er auch ein Rebell gewesen gegen den römischen Imperialismus.Man weiß das nicht so genau. Man weiß allein, was einer der Gekreuzigten zum andern gesagt hat: "Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.""Paradise Now", das Paradies jetzt für einen Gehängten!Und Jesus in schlechter Gesellschaft sogar im Reiche der göttlichen Schönheit!Und falls er wiederkäme, wie manche sagen, dann ist ihm zuzutrauen, dass er begleitet wird von Galgenvögeln von der Art jenes Kollegen am Kreuz.Mit Typen, die man kennt aus dem Polizeiregister oder dem " Aktenzeichen XY".Nein danke. Bei "Paradies" denke ich lieber an meine Villa am Mittelmeer, die nicht umsonst "il paradiso" heißt, ein sonniger Schlaraffenwinkel mit automatischer Alarmanlage. Die ist nötig, jetzt wo die Kriminalität so zunimmt.Kriminelle gehören ins Kittchen, nicht ins Paradies.Sie sehen schon jetzt, die weiche Welle macht alles nur schlimmer, Jesus hin oder her. So denken wir, die wir nicht gekreuzigt werden. Er, der Gekreuzigte, dachte da offenbar anders.

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mk 15, 33–35)

Da betet einer am Galgen ein Gebet, das er auswendig kennt, das Gebet des 22. Psalms. Ein Psalm, der sehr zuversichtlich aufhört, mit Gottes Hilfe und Gottes Sieg. Doch der Atem, die Kraft des Gehängten reichen nur knapp für den ersten Satz, den er keuchend ausstößt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?Schrei des Menschen, der im Stich gelassen ist.Schrei der Gefolterten vorher, nachher.Schrei derer, die von Christen gequält, getötet worden sind.Schrei der Ketzer und Hexen, die man verbrannt hat.Schrei der Juden, die vergast worden sind.Schrei der Gefolterten in aller Welt.Schrei der Angst, dass alles sinnlos war, sinnlos wird.O gewiss, auch andernorts werden Menschen gequält, gehängt, getötet!Es sind nicht nur Christen, die das tun. Aber dass Christen es tun, ist doppelt heillos, weil Christus selbst ein Hingerichteter war. Nein, Gott hat den Mann von Golgata nicht verlassen. An Ostern hat er ihm Recht und neues Leben gegeben.Vielleicht aber hat Gott uns Christen verlassen? Vielleicht hat er genug von all der Gewalt, von Tod und Vernichtung, die vom Christentum ausgegangen sind – von einem Christentum, das vergessen hat, dass Christus ein Opfer der Gewalt war?Mein Gott, mein Gott, warum hast du uns verlassen?

"Frau , siehe, dein Sohn" (Joh 19, 25–27)

Der Mensch ist des Menschen Arznei. Der Mensch ist des Menschen Trost.Eine Mutter verliert den Sohn und findet einen neuen, der offenbar seinerseits eine Mutter braucht.Nicht, dass ein Sohn ersetzbar wäre. Kein Mensch ist ersetzbar.Aber es gibt keinen anderen Trost als neue Liebe, neue Solidarität.Wenn man jemanden aufgeben muss, helfen nur neue Aufgaben.Wenn die Kälte einbricht, hilft nur neue Wärme.Wenn der Tod einen Sieg errungen hat, soll das erst recht unsere Zärtlichkeit für das Leben wecken.Wir Menschen sind nur so lange lebendig, wie wir uns miteinander gegen den Tod verschwören.Selbst in seinem Sterben hat Jesus das gewusst.Wie viel mehr sollten wir das erkennen.Einem Mann ist die Frau gestorben. Ziemlich hilflos steht er da.Eine andere alleinstehende Frau nimmt sich seiner an, hilft ihm im Haushalt, geht mit ihm spazieren.Die ach so moralischen Christen in unserer Siedlung sind empört, tuscheln, tadeln, verurteilen: das gehört sich nicht, so kurz nach dem Tod der Frau schon eine andere im Haus.Warum wachen so manche Christen so fleißig über die Moral der andern?Christus hat sich nicht um Moral, er hat sich um Menschen gesorgt.

"Da Jesus wusste, dass nunmehr alles vollbracht war, sagte er weiter, damit die Schrift vollständig erfüllt würde: Mich dürstet" (Joh 19, 28–29)

So können nur Theologen schreiben.Auch der Evangelist Johannes war schon ein Theologe.Mich schockiert, dass er dem Gekreuzigten unterstellt, er habe nicht eigentlich als Dürstender gesagt, "Mich dürstet", sondern "damit die Schrift vollständig erfüllt würde".Als wäre die Kreuzigung ein Passionsspiel gewesen, als wäre es nur darauf angekommen, irgendwelche Regieanweisungen genau zu befolgen!Ich finde das abgeschmackt, weil damit auch unterstellt wird, Jesus habe nicht wirklich gelitten, nicht wirklich gedürstet, er habe nur so getan, als ob.Ich halte das für verhängnisvoll, weil damit die Leiden heutiger Menschen, die gefoltert und getötet werden, ebenfalls verharmlost werden.Es ist das Elend der Theologie, dass sie um großer Zusammenhänge willen stets wieder die täglichen Kreuzigungen, die täglichen Rechtsverstöße und Gewalttaten verharmlost oder übersieht.Es ist das Elend der Christen, dass sie immer wieder für Gewalt plädieren und mit den Gewalthabern kollaborieren.Wir vergessen so leicht, dass am Kreuz ein Gequälter, Verblutender, von der Sonne Ausgebrannter gemurmelt hat "Mich dürstet".Davor verblassen theologische Konstruktionen und Schwierigkeiten, wie etwa die, ob es erlaubt sei, dass Christen verschiedener Konfessionen miteinander das Abendmahl feiern oder dass geschieden Wiederverheiratete zur Kommunion gehen dürfen. Alles ist erlaubt, was Liebe ermöglicht und Freundschaft stiftet.Alles ist erlaubt, was Gewalt abbaut und dem Töten zuvorkommt.

"Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" (Lk 23, 44–46 a)

Wenn Menschenhände töten, bleiben Gottes Hände, die alles können, nur nicht töten.Jeder Finger ist Leben, schafft Leben. Und Gottes Hände haben mehr Finger als Sterne sind am Himmel, haben mehr Finger als Menschen sind auf der Welt.Es sind Finger, Hände, die zugreifen, arbeiten, schaffen, die zärtlich und behutsam sein können.Es sind die entdeckenden Hände des Kindes, die liebkosenden Hände von Frauen,die freundlichen Hände von Männern.Es sind die rauen Hände von Bauern, die flinken Hände der Krankenschwestern und Ärzte, die zerstochenen Hände von Näherinnen.Alles sind diese Hände, alles können diese Hände – nur nicht töten.Aus Nichts erschaffen sie, was ist, aus Tod formen sie Leben,den Hass verwandeln sie in Liebe.Diesen Händen vertraut der Sterbende sein Leben, seinen Tod an.Diese Hände möchten die Hände von uns Lebenden werden.Neue Hände, die nicht töten können.Neue Hände, die freundlich sind zu allem, was lebt.Neue Hände, die wir einander entgegenstrecken, damit Friede sei.Gottes Hände möchten auch Menschenhände werden.Hände, denen wir uns furchtlos anvertrauen können.

"Es ist vollbracht" (Joh 19, 30)

Es ist vollbracht.Die Qual ist durchgestanden. Die stundenlange Folter am Kreuz hat ein Ende.Er ist von seinen Leiden erlöst. Aber die Erlösung der Menschen ist damit nicht vollbracht. Noch lange nicht.Darum will Gott ihm auch im Grab nicht Ruhe lassen. Auf seinem Grabstein steht kein "Ruhe in Frieden". Nach drei Tagen schon wird die Ruhe gestört, wird er zurückgeholt in die Unruhe der Welt.Seine Jünger brauchen ihn. Die Menschen brauchen ihn.Und Er braucht die Jünger, die Menschen, damit sein Wort, sein Werk weitergehen kann. In diesem Unternehmen ist an Aufträgen keinMangel.Das Werk ist noch lange nicht vollbracht.Keine Rezession, keine Arbeitslosigkeit. Es ist noch viel zu tun, bis es vollbracht sein wird.

Diesen Text hat Georg Dinauer am Palmsonntag in der Kirche Glanzing vorgetragen. Er ist Pfarrmoderator und Psychotherapeut.

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