„Am meisten blind waren wir Juden“

Fred Herzog vor einem Porträt seines Vaters David
75 Jahre nach dem Novemberpogrom: Erinnerungen des Landesrabbiners Herzog neu verlegt.

Er war ein honoriger, alter Mann. Zeit seines Lebens anerkannt, Ehrenbürger der Stadt, hoch angesehen, korrekt“, beschreibt Historiker Gerald Lamprecht. David Herzog, geboren 1869, seit 1908 in Graz, Landesrabbiner für Steiermark und Kärnten, Wissenschafter, Mitglied des Landesschulrates.

Und 1938 beschimpft als Mörder, Verbrecher, Vampir, Saujud, wie Herzog in seinen Erinnerungen schreibt. Lausbuben, die ihn prügelten, in die Mur schmeißen wollten. Ihm, alten Mann drohten, am jüdischen Friedhof sein eigenes Grab schaufeln zu müssen, ehe sie ihn bewusstlos prügelten. Der braucht keinen Schuss mehr, war der letzte Satz der jungen Nazi-Schergen, den Herzog hörte.

75 Jahre nach dem Novemberpogrom wurden seine Lebenserinnerungen vom steirischen Geschichtsverein Clio neu verlegt. Dass sie überhaupt bekannt wurden, war in den 1980er-Jahren einem Geschichtestudenten zu verdanken: Andreas Schweiger, heute Pressesprecher der Uni Graz, schaffte es, Kontakt zu Fred Herzog zu bekommen, dem in Chicago lebenden Sohn des Rabbiners. Bis dorthin war der Verbleib der Familie Herzog nach dem Tod des Rabbiners im Exil ein Rätsel. „Fred Herzog war damals schon 80 Jahre und am Anfang skeptisch“, erinnert sich Schweiger. Doch nach persönlichen Treffen war er bereit, dem jungen Grazer die Aufzeichnungen seines Vaters zu überlassen. Daraus wurde die Diplomarbeit, später auch ein Buch über das Wirken Herzogs.

Sehr persönlich

Gemeinsam mit Lamprecht und dem Chef von Clio, Heimo Halbrainer, wurde es bearbeitet und ergänzt. Die Erzählungen des alten, gebildeten Mannes, der nicht verstand, was die Jugend da trieb, sind teilweise sehr persönlich. Und trotz allem, was ihm widerfuhr, nicht ohne Selbstvorwürfe. Am meisten blind waren wir Juden in Österreich, schreibt Herzog. Als Geflüchtete aus Deutschland kamen, Menschen, die in Konzentrationslagern misshandelt, geschlagen und gebrochen worden waren, glaubten wir ihnen nicht. Weil wir nicht glauben konnten, dass menschliche Wesen moralisch so tief sinken konnten.

Herzogs Familie konnte Ende 1938 nach England entkommen, er starb 1946. Seinem Sohn Robert hat er seine Erinnerungen gewidmet: Der Journalist wurde 1943 im Vernichtungslager Majdanek umgebracht.

INFO: Buchpräsentation mit Lesung, 12. November 2013, 19.00 Uhr, GrazMuseum. www.clio-graz.net

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