"Wir brauchen Luft zum Atmen"

"Wir brauchen Luft zum Atmen"
Der griechisch-orthodoxe Metropolit setzt auf die Solidarität der Menschen.

Arsenios Kardamarkis ist seit 2011 gewählter griechisch-orthodoxer Metropolit von Österreich und Exarch von Ungarn und Mitteleuropa mit Sitz in Wien. Der 41-Jährige stammt aus einer kretischen Bauernfamilie und spricht neben seiner Muttersprache Griechisch noch fließend Deutsch, Französisch und Englisch. Er ist auch österreichischer Staatsbürger.

KURIER: Wie geht es den Menschen in Griechenland?

Metropolit Arsenios: Schlecht. Ich treffe hier in Wien jeden Tag Griechen, die nur mit einem Rucksack angekommen sind, um Arbeit zu finden. Wir haben in der griechischen Nationalschule hier oben Kurse organisiert, rund 40 Personen lernen Deutsch. In Griechenland betrug die Arbeitslosigkeit Ende 2014 mehr als 26 Prozent.

Was erwarten sich die Griechinnen und Griechen von Europa?

Würde. Es gab von Anfang an Kommunikationsfehler zwischen Osten und Westen, zwischen Bösen und Guten (lächelt), zwischen Griechen und Europäern. Der Grieche ist korrekt und stolz. Den Stolz soll man nicht verletzen. Es wurde behauptet, die Griechen sind faul und machen nur Urlaub. Die Statistiken zeigen, dass das nicht stimmt. Sie arbeiten im Schnitt länger als viele Europäer, auch länger als die Deutschen.

Es gibt zweifellos Probleme, die die Politiker über viele Jahre verursacht haben. Wir haben offensichtlich die falschen gewählt. Wir wurden von den Politikern betrogen.

Ist das auch der Grund, warum mit Syriza eine völlig eine Partei und völlig neue Leute in die Regierung gekommen sind?

Sicher. Die Menschen wollten mit den alten Politikern und Parteien nichts mehr zu tun haben. Die Neuen haben viel versprochen, vieles,was sie nicht halten können. Die Realität ist eben eine andere. Es ist ein Unterschied, ob man regiert oder ob man in der Opposition ist. Die neue Regierung hat aber die Chance, etwas Positives zu bewegen. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte die Möglichkeit, in Europa etwas zu ändern. Er hat sie verpasst.

Vielleicht ist die Tür noch nicht ganz zu.

Das kann sein. Alle Völker in Europa sind überzeugt, dass Sparen allein nicht die Lösung ist. Investitionen sind notwendig. Griechenland braucht Luft, um seine Kräfte zu sammeln. Die neue Regierung braucht Zeit und wohlwollende Kritik. Generalisierungen wie Pleite-Griechen etc. helfen nicht weiter.

Ist der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble respektlos?

Ich denke schon. Finanzminister Yanis Varoufakis war ihm gegenüber nicht so respektlos. Vielleicht war er bisschen zu arrogant, aber nicht im negativen Sinn. Ich bete für die neue Regierung, dass sie weiß, was sie macht. Denn die Menschen sind die Leidtragenden.

Ich weiß nicht, ob der europäische Weg der richtige ist, denn Europa diskutiert nur über Finanzen. Menschlichkeit, Würde und humanitäre Werte sollten mehr im Vordergrund stehen. In den Krisenländern Portugal, Spanien, Italien und Griechenland sind die Selbstmorde stark angestiegen, weil die Menschen keinen Ausweg aus ihrer persönlichen Verschuldung mehr wissen. Sie haben Häuser auf Kredit gebaut, sie haben die Arbeit verloren, können das Geld nicht zurückzahlen und wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollten. Die Menschen haben keine Perspektive. Sie sagen, warum soll ich leben? Am Montag kam ein Grieche zu mir, der aus Patras kam. Er sagte, ich schlafe auf der Straße. Ich habe nun Arbeit gefunden, aber ich brauche eine Adresse. Wir haben ihm geholfen. Er erzählte, dass er mit seinen Eltern und zwei Brüdern von der Rente der Großmutter lebt. Die Familie lebt von 360 Euro. Das wissen die Europäer nicht.

Syriza hat recht. Es gibt in Griechenland momentan eine humanitäre Krise. Die Menschen brauchen Luft zum Atmen. Die Kirche verteilt zwar Essen, aber das reicht nicht. Die Menschen sagen, sollen wir nur für ein Stück Brot leben? Die vergangenen Jahre gab es diese Luft nicht, es hieß nur Sparen, Sparen, Sparen.

Diese Luft erwarten sich die Griechen nun von den Europäern?

Wir erwarten Solidarität. Man hat gesagt, dass Europa eine Familie ist. An der Krise haben nur die deutschen und französischen Banken mit den griechischen Anleihen verdient. Warum soll es so weitergehen? Allen Völkern wurde geholfen, auch Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

Sind Sie optimistisch für Griechenland?

Muss ich ehrlich sein? (lächelt). Ich glaube, es wird für Griechenland aufwärts gehen. Aber nicht, weil ich an die europäische Politik glaube, sondern weil ich an die Menschen in Europa glaube. Sie werden den Griechen helfen. In den kritischen Phasen der Geschichte haben die Freunde Griechenlands, die Philhellenen, immer geholfen. Ein Beispiel ist Lord Byron.

Der Urlaub in Griechenland boomt, während die türkischen Reiseziele Einbußen hinnehmen müssen.

Genau das meine ich. Ich erhalte viele Mails und Anrufe von Menschen, die sich mit Griechenland solidarisieren. Deswegen bin ich optimistisch. Die Griechen arbeiten hart, das kenne ich.

Muss nicht der Staat neu aufgebaut werden?

Ja, das muss er. Ich glaube, das haben die Menschen auch verstanden. Diese Regierung hat die Unterstützung von einer großen Mehrheit von Menschen. Das ist eine Chance. Nämlich auch die Steuerverwaltung und das Steuersystem neu zu organisieren. Deswegen bin ich optimistisch.

Ich bin nicht so optimistisch für die europäische Politik. Das sind Menschen, die keine Ahnung von der Wirklichkeit haben.

Es wird zum Beispiel in Brüssel entschieden, dass Ziegenmilch diese und jene Bedingungen erfüllen muss. Aber die Bauern können sie oft nicht erfüllen. Der Bauer in England hat andere Schwierigkeiten als der in Griechenland oder Portugal. Diese Direktiven und diese Uniformität sind nicht gut für Europa.

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