Mit einer Operation ins Leben starten

Viele Frauen wünschen sich eine planbare Geburt, sind sich aber der Risiken einer Sectio nicht bewusst
Die OP-Zahlen steigen hierzulande rasant. Ein gefährlicher Trend, laut Medizinern und Hebammen.

Neun Monate lang hatte sie sich auf eine natürliche Geburt vorbereitet, Atemtechniken geübt, Bücher gelesen – und nie an eine weitere Option gedacht. Im Spital war plötzlich alles anders: Der Kopf des Kindes rutschte nicht ins Becken, die Herztöne wurden schwächer, dann musste alles schnell gehen. Narkose, ab in den OP und Kaiserschnitt. Da blieb keine Zeit für Diskussionen, Fragen oder Zweifel. Danach war die Enttäuschung darüber, "es nicht geschafft" zu haben, sehr groß. So oder so ähnlich fühlen sich etliche Frauen, wenn sie an ihren "ungewollten" Kaiserschnitt denken.

Wunschprogramm

Dabei gibt es aber auch die andere Seite: Promis, die sich, medial wirksam, ein hübsches Geburtsdatum für ihren Nachwuchs aussuchen und eine Bauchdecken-Straffung gleich mitmachen lassen. Frauen, die ihrem Körper nicht zutrauen, derartige Schmerzen auszuhalten und Angst um sich selbst und das Kind haben – und sich deshalb bewusst für einen Kaiserschnitt entscheiden. Oder Frauen, bei denen schon im Vorfeld klar ist, dass eine Sectio medizinisch unumgänglich sein wird.

Beinahe jedes dritte Kind wird in Österreich mittlerweile per Kaiserschnitt entbunden. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich diese Zahl verdoppelt. Die WHO empfiehlt eine Sectio-Rate von 15 Prozent. Warum dann also diese explodierenden Zahlen? Oberarzt Dr. Richard Mayer von der Landesfrauen- und Kinderklinik in Linz (LFKK) erklärt: "Die Zahl an Wunsch-Kaiserschnitten nimmt zu. Da gibt es ein Aufklärungsproblem. Frauen denken oft, mit einem Kaiserschnitt haben sie eine schnelle, risikofreie und planbare Geburt. In Gesprächen klären wir über die möglichen Komplikationen für Mutter und Kind auf." Es steige auch der rechtliche Druck, als Arzt geklagt zu werden.

Komplikationen

"Frauen mit Schwangerschafts-Diabetes haben oft schwere Kinder, in diesen Fällen wird dann ebenfalls über eine Sectio nachgedacht." Dabei sei niemals zu vergessen, dass es sich bei einem Kaiserschnitt um eine große Bauchoperation handle: "Bei der Frau kann es zu Blasenverletzungen, Wundheilumgsstörungen und Infektionen kommen. Und es gibt Studien, die belegen, dass Kinder nach Kaiserschnitten eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Allergien oder Asthma zu erkranken." Alles in allem habe Mayer als Geburtshelfer auf jeden Fall den Anspruch, alle Möglichkeiten einer vaginale Geburt auszuschöpfen.

Diesen Anspruch hat auch Sarah Anibas an sich und ihre Arbeit. Seit vier Jahren ist die 26-Jährige als Hebamme an der LFKK tätig: "Die Aufgabe von uns Hebammen ist es, Frauen in ihren Entscheidungen und Gefühlen zu unterstützen und sie zu motivieren. Wir wollen bewusst machen, dass es natürlich ist, schwanger zu werden, zu sein und ein Kind zu gebären."

Nachbetreuung

Viele Frauen kämpfen noch lange mit den Folgen ihres Kaiserschnittes, physisch und psychisch: "Wir bieten schon im Spital psychologische Hilfe an, und sind auch selbst für Gespräche offen. Vor allem bei Frauen, die einen unerwarteten oder einen Not-Kaiserschnitt hatten, ist eine Aufarbeitung wichtig. Da sind auch die Männer gefragt, ihre Partnerinnen zu unterstützen."

Wann sprechen Hebammen von einer gelungenen Geburt? Sarah Anibas denkt nach: "Wenn ich sehe, dass Eltern und Kind dieses machtvolle Ereignis mit allen Höhen und Tiefen positiv annehmen können und die Frau durch das Geburtserlebnis be- und gestärkt wird. Natürlich kann auch ein Kaiserschnitt gelungen sein, wenn Mutter und Kind gesund sind. Diese Glücksgefühle nach der Geburt sind unbeschreiblich, auch deswegen macht mir der Beruf große Freude."

In Österreich ist die Kaiserschnittrate von 1998 bis 2008 von 14,6% auf 28,0% gestiegen, hat sich also nahezu verdoppelt. Ab dann geht es weiter bergauf mit den Zahlen: 2009: 28,8%, 2010: 31,5 % , 2011: 29 %, 2012: 29,4 %, 2013: 31 %, 2014: 31 %.

3747 Babys kamen in der Landesfrauen- und Kinderklinik (LFKK) in Linz im Jahr 2014 zur Welt, sie ist somit Österreichs größtes Geburtsspital. 1089 Kinder wurden per Kaiserschnitt entbunden. Mit einer Kaiserschnittrate von 29 Prozent liegt die LFKK damit unter dem österreichischen Durchschnitt von 31 Prozent. "Vergangenes Jahr konnten wir sogar 18 Kinder mit Beckenendlage und 18 Mehrlinge auf natürlichem Weg entbinden", freut sich Prim. Prof. Dr. Peter Oppelt, Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der LFKK.

Persönliche Einblicke

Im Mittelpunkt des Films "Meine Narbe – Ein Schnitt ins Leben" von Mirjam Unger stehen Mütter und Väter und ihr persönliches Erleben mit der Schnittentbindung. In schonungslos ehrlichen Interviews schildern sie Erwartungen und Wünsche, die sie an die Geburt ihres Kindes hatten, ihr körperliches und seelisches Empfinden sowie die oft langwierigen Folgen. Der Film gewährt tiefe Einblicke in persönliche Geburtserlebnisse von Männern und Frauen und zeigt intime Momente, die zum Nachdenken anregen. Die Doku wurde 2015 für die ROMY nominiert.

INFO www.geyrhalterfilm.com, online zu bestellen um 9,98 Euro oder als Video on Demand bei flimmit.

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